Das Maya-Ritual
John Carpenter.
Ich musste über sie lachen, und dann brach auch sie in brüllendes Gelächter aus. Der Regen fühlte sich warm an auf unserer Haut, Und dann hörte ich jemanden meinen Namen rufen. »Senorita Madison!« Es war Alfredo. Er war offenbar herausgekommen, um uns an Land zu helfen.
»Ahoi, Aquanaut Alfredo!«, rief ich, leicht benommen von unserer rasenden Flucht vor dem Unwetter.
Der Regen begann, nachzulassen. Die Anlegestelle wurde wieder sichtbar, und an ihrem Ende stand Alfredo. Als wir längsseits kamen, warf ihm Deirdre ein Seil zu. Aber er rief weiter meinen Namen. »Senorita Madison!«
»Ja, ja, was gibt es denn, Alfredo?«
»Ihr Freund, der Boss, Senor Arnold.« Alfredo wusste nie, wie er Ken bezeichnen sollte.
»Ja, was ist mit ihm?«
»Er ist tot, Senorita.«
12
»Gerade als es zu regnen anfing, hat die Klinik von Cancun angerufen. Sie baten mich, Ihnen die schlechte Neuigkeit auszurichten.«
Deirdre und ich kletterten auf die Mole.
Nach dem ersten Schock hatte ich die Mitteilung rasch als einen grotesken Irrtum abgetan. Wahrscheinlich ein Missverständnis seitens Alfredos.
»Komm, mach dich nicht lächerlich, Alfredo«, sagte ich, als wir zum Gebäude gingen.
»Es stimmt, glauben Sie mir.«
Ich warf ihm einen vernichtenden Blick zu. Seine Glaubwürdigkeit schätzte ich nicht mehr sehr hoch ein. Dann bemerkte ich, wie er und Deirdre Blicke tauschten.
»Wir sollten es einfach überprüfen«, sagte sie und führte mich in den Laden. »Haben sie eine Nummer hinterlassen?«
»Ja. Hier… und einen Namen.« Alfredo gab Deirdre einen Zettel: Mir begann zu dämmern, dass Ken tatsächlich etwas zugestoßen war.
»Clinica Cancun?«, las Deirdre und griff nach dem Telefonhörer auf der Ladentheke. »La médica… Flores? Heißt das Doktor Flores?«
»Halt, Deirdre!«, sagte ich schroff. »Ich erledige das. Dein Spanisch ist nicht gerade das beste.« Ich musste es selbst hören.
Musste die richtigen Fragen stellen. Und vielleicht, auch wenn mich die Hoffnung allmählich verließ, herausfinden, dass alles nur ein Irrtum war.
»Doktor Flores, por favor«, sagte ich, als eine weibliche Stimme am Empfang antwortete. »Hier ist Jessica Madison, ich rufe aus Cozumel an.«
Ein kurzer Ausschnitt aus dem Concierto de Aranjuez erklang, dann war erneut eine weibliche Stimme in der Leitung.
»Senorita Madison. Hier Pilar Flores. Es tut mir Leid wegen Ihres Kollegen Senor Arnold.«
»Dann ist es also wahr? Was ist passiert? Ein Unfall?«
»Nein. Er starb eines natürlichen Todes.«
»Eines natürlichen… Woran genau?«
»Sein Herz. Herzmuskelinfarkt, um genau zu sein.«
»Oh…« Möglich war es durchaus. Ken litt an Angina Pectoris, ein Umstand, den er vermutlich vor Versicherungen und anderen Tauchern geheim gehalten hatte. Er trug stets ein Röhrchen Nitroglyzerinlösung bei sich und riss Witze darüber, wie er es fertig bringen würde, sich das Zeug unter Wasser auf die Zunge zu sprühen, wenn er einen Anfall bekam. Und jetzt fiel mir auch ein, wie sehr er auf unserem letzten Ausflug unter der Hitze gelitten hatte.
»Er wurde vor zwei Tagen nach einem Schlaganfall bewusstlos in seinem Haus aufgefunden und auf die Intensivstation eingeliefert. Bei einer Vorgeschichte von mangelhafter Herzdurchblutung und nun den Anzeichen für einen Gefäßverschluss standen seine Aussichten von Beginn an schlecht, und heute Morgen bekam er Kammerflimmern. Wir taten unser Möglichstes, um ihn wieder zu beleben, aber er hat leider nicht mehr reagiert.«
»Hat er nach seiner Einlieferung irgendwann das Bewusstsein wiedererlangt?«
»Nein. War das alles, Senorita Madison?« Dr. Flores schien es eilig zu haben, das Gespräch mit mir zu beenden.
»Wie kamen Sie darauf, mich zu benachrichtigen?«
»Die Polizei fand Ihren Namen und die Adresse heute Morgen auf der Rückseite seines Passes. Im Notfall zu verständigen. Außerdem sollte noch eine Anwaltskanzlei informiert werden. Diese Kanzlei trifft die Vorkehrungen für das Begräbnis, und Senor Arnolds Leichnam wurde bereits an sie überstellt.«
»Haben Sie einen Namen und eine Nummer, wo ich anrufen kann?«
»Ja. Es handelt sich um einen Senor Marrufo…« Ich schrieb mir alles auf und dankte der Ärztin. Dann legte ich den Hörer weg, ich war wie betäubt. Schließlich schlug eine Woge von Gefühlen über mir zusammen, und ich begann zu weinen.
Deirdre nahm mich in die Arme. »Dann stimmt es also. Was ist passiert?«
»Sein Herz«, schluchzte ich.
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