Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das mechanische Herz

Das mechanische Herz

Titel: Das mechanische Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dru Pagliassotti
Vom Netzwerk:
koordinierte. Wenn er sich einen Arm oder ein Bein brach, dann konnten sie ihre Ermittlungen gleich an Ort und Stelle abbrechen, und er würde ihr nie wieder vertrauen.
    Ihr eigenes Herz raste, je näher sie dem Boden kamen. Um sich zu beruhigen, zwang sie sich zu tiefen Atemzügen. Es würde ihm nichts zustoßen, alles würde klappen. Er machte seine Sache doch sehr ordentlich.
    „Gut, jetzt den Schwanz hoch, damit er nicht im Weg ist, und die Knie beugen!“, schrie sie. „Die Flügel ausgebreitet halbhoch nehmen und rückwärts schlagen. Nicht vergessen: Ihr wollt bremsen. Je langsamer Ihr werdet, desto besser. Keine Angst, Ihr fallt schon nicht runter!“
    Sie hielt sich hinter ihm, den Abstand so groß, wie die Sicherheitsleine zuließ, und fing selbst an, die Geschwindigkeit zu drosseln, wobei sie Cristof keine Sekunde lang aus den Augen ließ.
    „Öffnet Eure Flugschlitze!“, rief sie und beobachtete ihn. „Knie voran! Als würdet Ihr auf einem Bett herumspringen!“
    War Cristof je im Leben auf einem Bett herumgehüpft? Es war schwer vorstellbar.
    Sie trat ihre eigenen Schwanzfedern nach oben. Die Windböen waren nicht so schlimm. Höchstwahrscheinlich hätte sie sogar eine aufrechte Landung hinbekommen, hätte sie nicht Angst gehabt, dabei über Cristof zu stolpern. Nur eins konnte sie jetzt noch härter treffen als ein Beinbruch bei Cristof: wenn Taya selbst sich ein Bein brach. War er verletzt, so konnte sie immer noch losfliegen und Hilfe holen. Aber sie bezweifelte stark, dass er in der Lage wäre, dasselbe für sie zu tun.
    „Langsamer werden und nach hinten lehnen! Arme hoch!“
    Als Cristofs Knie auf den Boden trafen, gruben die soliden Schutzpolster tiefe Furchen ins Erdreich. Er verlagerte sein Gewicht nach hinten, bis er fast flach auf dem Rücken lag. Erst als er zum Stehen kam – holpernd, da die Ausgleichsgewichte ihm Auftrieb verliehen – wagte Taya einen Seufzer der Erleichterung.
    Ihre eigene Landung verlief auch nicht viel anmutiger: Auf den Knien gleitend rutschte sie neben ihn.
    „Alles in Ordnung?“ Sie ließ die Flügel über ihrem Kopf einrasten und stand leise stöhnend auf, denn ihre Kniegelenke hatten die Landung übelgenommen. Sie nahm Haube, Brille und Handschuhe ab.
    Cristofs Flügel lagen flach auf dem Boden. Der Erhabene hatte den Kopf nach vorne geneigt, er atmete keuchend und stoßweise. Taya ging zu ihm und kniete sich vor ihn.
    „Hallo!“ Sie legte beide Hände um sein blasses, kaltes Gesicht. Der Mann zitterte. „Ihr habt es geschafft! Wir sind da!“
    Cristof schluckte und nickte.
    „Kommt schon, Erhabener. Lasst Euch jetzt nicht hängen! Die Flügel so schleifen zu lassen ist schlechter Stil. Hebt die Arme. Lasst die Flügel hoch erhoben einrasten.“
    Mit unendlich langsamen Bewegungen befolgte er ihre Anweisungen, ehe er Schutzbrille und Fliegerhaube abstreifte und zwischen seine Beine auf den Boden fallen ließ. Die Brille hing ihm schief auf der Nase, die Augen dahinter waren weit aufgerissen, die Pupillen geweitet.
    „Immer mit der Ruhe.“ Taya strich ihm das schweißnasse Haar glatt und rückte seine Brille zurecht. „Das war gut. Das war wirklich gut!“ Sie beugte sich vor und umarmte ihn. „Alberne Krähe. Ich sagte Euch doch, Ihr könnt fliegen!“
    Einen Moment lang verharrte Cristof stocksteif in ihren Armen. Dann packte er sie, zog sie eng an sich und klammerte sich an ihr fest, als hinge sein Leben davon ab.
    Tayas Herz tat einen Satz. Sie schloss die Augen, ihr Puls raste.
    „Gleich lässt er mich wieder los, beschwert sich über irgend etwas, und alles ist normal.“
    Sekunden verstrichen. Cristofs Atem ging langsamer, das Beben ließ nach. Taya wartete darauf, dass er sie losließ, aber statt dessen barg er die Stirn an ihrer Schulter und hielt sie nur noch fester.
    Sie schluckte. Sie vergrub die Finger schützend in seinem dichten, schwarzen Haar, ließ die Hand hinuntergleiten bis zu den schmalen, kantigen Schultern.
    „Mir ist, als fiele ich immer noch!“ Endlich sah Cristof auf. Ein Strahl Morgensonne spielte mit den Drahtbügeln seiner Brille. „Ich wage nicht loszulassen.“
    Sie sah ihm tief in die blassen Augen.
    „Es ist alles in Ordnung. Ihr seid auf sicherem Boden.“ Taya hatte das Gefühl, als schlüge ihr das Herz bis zum Hals. Hatte jemand sie je zuvor so verzagt angeschaut? Lange schon hatte sie einen Blick hinter seine Maske werfen wollen, jetzt wusste sie, was dort war. Alleinsein. Tiefes, schmerzendes Alleinsein.

Weitere Kostenlose Bücher