Das mechanische Herz
das Geländer.
„Taya!“
Ganz kurz erhaschte sie einen Blick auf Cristof, der sich knapp unter dem Steg an die Große Maschine festklammerte und sie entsetzt anstarrte, ehe er aufsah, die Hand hob und durch das Bodengitter hindurch die Luftpistole abfeuerte.
Taya schloss die Augen, spürte, wie die Luft über ihr Gesicht strich. Sie hob die Arme und schob sie rein nach Gefühl in die Flügelhalterung, hob sie hoch und ließ die Flügel einrasten, ohne sich von der gähnenden Tiefe ablenken zu lassen, in die sie hineinwirbelte.
Erst jetzt schlug sie die Augen wieder auf. Sie wartete, bis ihr Kopf bei einem der Saltos in der Luft wieder einmal oben war, und breitete die Arme aus.
Als ihre Federn von unter her Luftdruck auffingen, wagte sie einen Blick in die Tiefe. Der Boden war nicht zu sehen, direkte Gefahr drohte auch nicht. Warme Luft strich pfeifend an ihren Ohren vorbei, als sie laut stöhnend den Schwanzteil hinuntertrat, was ihrem verletzten Bein gar nicht zu gefallen schien. Durch die Rüstung ging ein Ruck, als auch der Schwanzteil Luftwiderstand beisteuerte.
Noch ein Stöhnen, dann hatte sie die Füße dort, wo sie hingehörten: hinter der Verstrebung des Schwanzteils. Ein rascher Tritt, und sie manövrierte sich mit dem Bauch nach unten in den freien Fall, sah sich noch einmal an, was unter ihr lag.
So weit, so gut. Sie hatte es geschafft, nicht mit einem der Kabel oder Stege, die den Abgrund querten, aneinanderzugeraten. Sich rückwärts irgendwo herunterfallen zu lassen war ein Ikarierspiel, das sie als Teenager oft gespielt hatte. Damals hatten sie und ihre Freunde sich von Drahtfährentürmen und anderen Gefahrenpunkten fallen lassen. Die einzige Gefahr dabei war, nicht zu wissen, was unter einem lag.
Nun hatte sie alles wieder im Griff, konnte die Flügel ausbreiten, die Luftströme prüfen, steuern.
Da – beim ersten sanften Druck eines Aufwinds bewegte Taya die Arme nach unten und verwandelte ihren Sturz in einen Aufstieg.
Einen Moment lang hatte der Kitzel des freien Falls alle anderen Gedanken aus ihrem Kopf verbannt und sie auch die Schmerzen im Bein vergessen lassen. Sie nutzte die kurze Atempause und zwang sich, so schnell sie irgend konnte an Höhe zu gewinnen.
Über ihr hing Cristof am Geländer und klammerte sich fest. Alister hielt den Lauf der Luftpistole gepackt. Die Brüder rangen um die Waffe. Noch schien niemand die Oberhand zu haben. Taya setzte die Flügel ein, flog immer höher, hoffte, das Patt beenden zu können.
Sobald Alister sie entdeckt hatte, verdoppelte er seine Anstrengungen.
Cristof ließ die Waffe los. Kopfvor stürzte er sich über das Geländer, rollte sich ab, kam unbeholfen auf dem Boden der Plattform auf. Hilflos musste Taya mit ansehen, wie Alister seinem Bruder die Pistolenmündung ins Gesicht presste und abdrückte.
Der Aufschrei blieb Taya im Halse stecken. Aber auch auf der Plattform schien etwas steckengeblieben zu sein: Aus der Pistole löste sich kein Schuss. Laut fluchend fummelte Alister am Sicherungshebel herum.
„Alister!“ Endlich hatte Taya die richtige Höhe erreicht. Sie drehte das Antlitz zur Plattform, fing an, mit den Flügeln rückwärts zu schlagen. Hektisch glitt Alisters Blick zwischen ihr und der Waffe in seiner Hand hin und her.
Cristof schien irgend etwas in seinen Gürteltaschen zu suchen – Alisters Daumen hatte den richtigen Hebel gefunden und umgelegt. Cristofs Hand tauchte aus der Gürteltasche auf – Alister zielte.
Cristofs Hand schoss vor – und ein Barren aus fünf Pfund Ondium flog durch die Luft, traf seinen Bruder unter dem Kinn. Alisters Kopf flog in den Nacken. Ein Nadelschwall ergoss sich zischend ins Nichts, wenngleich eines der Geschosse Tayas Flügel streifte und erzittern ließ.
Da aber hatten auch schon Tayas schwere Stiefel ihr Ziel gefunden, Alisters Brust. Der Aufprall drängte den Erhabenen zurück, bis er gegen die Große Maschine prallte, und zwar mit solcher Wucht, dass die metallene Lochkartenlade abbrach. Tayas linke Wade brannte, als stünde das ganze Bein in Flammen.
Einen Moment lang hing sie unbeholfen in der Luft, ließ die Flügel wie wild rückwärts schlagen, versuchte, wie auch immer, nicht völlig das Gleichgewicht zu verlieren. Dann gelang es Cristof, sich unter ihren Flügeln durchzuducken. Er hielt sie an den Riemen zwischen den Schultern fest, bis sie wieder Boden unter den Füßen hatte.
Kaum stand sie, als sie sich auch schon auf Alister stürzte, ihn bei der Robe packte
Weitere Kostenlose Bücher