Das mechanische Herz
der Waffe. Zu spät. Die Pistole streifte kurz ihre Fingerspitzen, ehe sie über den Rand des Laufstegs rutschte und in die Tiefe fiel.
Die Brüder rangen miteinander. Cristof war größer, Alister dafür stärker und auch schwerer, verschaffte Cristofs ondiumgepolstertes Geschirr dem Uhrmacher in dieser Situation doch einen entscheidenden Nachteil, über den Alister sich immer wieder mit spöttischem Lachen freute. Einen Augenblick lang fürchtete Taya schon, Alister könnte es erneut schaffen, den Bruder über das Geländer zu befördern, aber dann gelang es Cristof, Alister beide Hände um den Hals zu legen, und er drückte zu.
Alisters Hand glitt in seine Jackentasche. Als er sie wieder herauszog, hielt er Tayas Messer darin.
Taya schnappte sich das Erstbeste, was ihr in die Finger kam: den Korb mit den Lochkarten. Sie beugte sich über die raufenden Männer und schlug Alister den Korb mit voller Wucht auf den Schädel.
Das Weidengeflecht riss – nach allen Seiten flogen die noch darin verbliebenen Karten davon. Alister jaulte auf. Taya packte Cristof beim Geschirr, riss ihn aus der Reichweite seines Bruders. Da gab ihr Bein nach. Sie sackte zu Boden, und ihr wurde schwarz vor Augen.
Wie durch einen dunklen Nebel hindurch sah Taya, wie Alister sich wieder erholte und mit dem Messer auf seinen Bruder losging. Auf Cristofs Kinn tauchte ein karminroter Strich auf, leuchtete lebhaft zwischen all den schwarzen Punkten, die vor ihren Augen tanzten. Sie tastete mit der Hand über den Steg, bekam einen Stapel der breiten Blechkarten in die Finger und schleuderte sie, als sich Cristof kurz zur Seite wandte, Alister ins Gesicht.
Der Dekatur zuckte zurück. Cristof versetzte ihm einen Stoß, und beide Männer fielen gegen das Geländer, das unter ihrem Gewicht so erschüttert wurde, dass sich die Nieten verbogen.
Alister riss die Augen weit auf, als er spürte, wie das Metall unter ihm nachgab. Er griff nach Cristof – der wiederum packte ihn –
– dann brach das Geländer, und beide Männer kippten in die Tiefe.
Ohne groß nachzudenken, schnappte sich Taya die Sicherheitsleine, die auf dem Boden lag, und ließ sich hinter ihnen her über das Geländer rollen.
Diesmal versuchte sie gar nicht erst, die Arme in die Flügel zu schieben. Sie breitete Arme und Beine aus, ließ sich fallen, zog sich im Fallen die Sicherheitsleine über den Arm.
Immer schneller taumelten die Männer durch die Luft. Taya griff in eine der Ausgleichstaschen an ihrem Gürtel, zog einen Ondiumbarren heraus, ließ ihn frei. Prompt schoss der Metallbarren hoch zur Decke, und Taya, nun schwerer geworden, stürzte schneller.
Noch hatte sie Zeit, noch hatten die beiden ihr volles Tempo nicht erreicht. Sie setzte ein weiteres Gewicht frei, dann noch eins.
Endlich hatte sie sich den Männern so weit genähert, dass sie ein Ende ihrer Sicherheitsleine am Geschirr einhaken und die Hände ausstrecken konnte.
Alister und Cristof klammerten sich aneinander fest, Zorn und Kampflust waren im unerwarteten Fall verraucht. Tayas erster Versuch, Cristof mit ihrer Leine zu sichern, schlug fehl, aber beim zweiten Mal war sie erfolgreich. Sie konnte die Leine in seinen Gürtel haken. Der Seidenstrick spannte sich.
Mit weit aufgerissenen Augen sah Cristof zu ihr hoch.
„Alles wird gut!“, wollte sie ihm zurufen, aber die Luftströmungen rissen ihr die Worte aus dem Mund. Jetzt musste sie langsam wieder daran denken, sich Flügel zu verschaffen. Gar nicht so einfach mit der Sicherheitsleine, die zwischen ihr und den beiden Männern baumelte.
Endlich gelang es ihr, die Arme in die Flügelhalterungen zu zwängen. Eilig breitete sie die Schwingen aus, und durch alle drei, Alister, Cristof und sie, ging ein scharfer Ruck.
Taya wusste, dass sie nicht in der Lage war, sie alle zu tragen. Da ging es ihr wie Pyke damals, beim Drahtfährenunglück, als sie Viera retten musste. Taya konnte den Absturz lediglich abfangen und mildern. Kurz entschlossen ließ sie die Leine straff werden und versuchte, die Große Maschine anzusteuern.
Die wurde beim Näherkommen immer noch größer. Hektisch suchte Taya die Oberfläche nach einer Öffnung ab, nach irgend-einem Punkt, wo sie landen konnte. Endlich hatte sie etwas entdeckt: eine Art Plattform, gebildet von zwei gewaltigen, ineinandergreifenden und sich eifrig drehenden Zahnrädern aus Ondium. Zielstrebig steuerte sie mit ihrer Fracht darauf zu. Hoffentlich durchschauten Cristof und Alister ihren Plan und bereiteten
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