Das mechanische Herz
Abendessen im Rodanthe, wo sie sich gefragt hatte, wie Alister wohl in einem privaten Rahmen aussehen mochte. Jetzt wusste sie es – obwohl sie damals bestimmt nicht an eine Gefängniszelle gedacht hatte, sondern an einen faulen Morgen bei ihm zu Hause, bei einem geruhsamen Frühstück vielleicht.
„Wie geht es deinem Bein?“, erkundigte er sich.
„Nicht mal so schlecht. Der Mediziner sagt, die Wunde wird sauber verheilen.“
„Ich hätte dem Mann den Hals umdrehen können, als mir klar wurde, dass er dich angeschossen hatte.“
„Ach ja?“ Solche Sätze beeindruckten Taya inzwischen wenig. „Ich muss mit Euch über die neue Maschine in der Uni reden, den Prototyp.“
„Warum?“
„Es gibt einen neuen Fall, bei dem es zum Teil auch um diese Maschine geht.“
„Einer von Cristofs Fällen?“
„Vielleicht.“
„Verstehe.“ Er neigte den Kopf. „Ich werde mein Bestes tun – obwohl einige der Informationen über diese Maschine streng vertraulich sind.“
„Ist der Prototyp wertvoll?“
„Natürlich. All unsere Maschinen sind wertvoll, besonders die analytischen. Die Teile allein kosten eine Menge und auch die Arbeitskraft, die darin steckt. Die Ingenieurskunst, die eine solche Maschine hervorbringt, ist, falls man sie halbwegs nachvollziehen kann, wenn ein Experte sie auseinandernimmt, für jedes andere Land von unschätzbarem Wert.“
„Aber dieser Prototyp ist noch etwas Besonderes?“
„Gegenüber anderen kleinen analytischen Maschinen, die wir bislang gebaut haben, stellt er eine erhebliche Verbesserung dar. Natürlich ist die Große Maschine dem Prototyp immer noch überlegen, aber im Grunde ist es nicht fair, beide zu vergleichen. Wenn wir in den Kategorien der Großen Maschine denken, können wir weit kompliziertere Mechanismen erschaffen als auf einer kleineren Skala. Die Funktionalität der Großen Maschine auf ein menschliches Maß herunterzubrechen war immer eine große Herausforderung für alle Beteiligten. Wobei ich allerdings nicht glaube, dass wir die Große Maschine in all ihrer Komplexität mit kleineren Komponenten je werden perfekt nachbauen können. Aber dieser Prototyp bringt uns dem Endziel einige Schritte näher.“ Alister lächelte. „Warum stellst du mir diese Fragen und nicht Cris? Du wirst doch nicht etwa deine Fittiche gegen Liktorenstreifen eintauschen wollen? Oder gegen ein Leben zwischen Zahnrädern und Uhrwerken?“
Taya warf ihm einen finsteren Blick zu.
„Ich denke überhaupt nicht dran, meine Flügel aufzugeben. Wenn Ihr nicht gewesen wärt, dann würde ich sie auch jetzt tragen.“
„Schön! Ich sterbe glücklich, wenn ich weiß, dass du immer noch mein metallener Falke mit den Silberflügeln bist.“
„Obwohl Ihr ja einiges dafür getan habt, mein Leben zu verkürzen.“
„Das ist nicht fair! Ich wollte dir nie etwas zuleide tun. Wenn Cris dich nicht in die Untersuchungen hineingezogen hätte, dann wärst du auch nicht zu Schaden gekommen.“ Alister zog spöttisch die Brauen hoch. „A propos Cris: Mir ist nicht entgangen, dass er dich mit einer gewissen Zärtlichkeit behandelt.“
„Was Euch überhaupt nichts angeht.“
„Sag das nicht! Mit dem Tod vor Augen werden Familienangelegenheiten plötzlich sehr wichtig. Es ist in Ordnung, meinen Segen habt ihr beiden. Mehr noch – ich bin neidisch. Wer hätte das gedacht? Hat mein Zahnradkopf von einem Bruder doch glatt den Mumm, mir eine Frau wegzuschnappen, und den Esprit dazu. Dabei habe ich immer behauptet, er hätte ein mechanisches Herz.“
„Cristof hat mich nicht weggeschnappt, denn mich kann man nicht stehlen, und Ihr wart tot. Ihr habt jedenfalls als tot gegolten.“
„Hätte ich gewusst, dass mein Tod dich in die Arme eines anderen wirft – wer weiß, vielleicht hätte ich meine Pläne dann noch geändert.“
„Wärt Ihr dann ohne die Morde ausgekommen?“
Alister seufzte. „Vielleicht.“
„Der Prototyp. Wer weiß sonst noch, dass er existiert?“
„Dass er existiert ist kein Geheimnis. Die Einzelheiten seiner Gestaltung schon, aber jeder mit einem Fünkchen Interesse an analytischen Maschinen weiß, dass der Rat mit einem neuen Typ experimentiert. Warum? Sagst du mir irgendwann noch, was eigentlich los ist?“
„Jemand hat den Prototyp letzte Nacht gestohlen.“
Taya ließ Alister keine Sekunde lang aus den Augen, achtete haargenau auf jede Regung in seinem Gesicht. Aber was sie dort sah, schien ehrlich: Erstaunen.
„Gestohlen? Wie – und wieso weißt du
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