Das mechanische Herz
Dekatur Neuillan wegen Hochverrats verhaftet hatte, war er in einer speziellen Zelle in Primus untergebracht worden. Taya ging davon aus, dass man Alister auch dort festhielt, also nahm sie sich eine Droschke und fuhr zu der entsprechenden Wache. Dort standen zwei mit Luftgewehren bewaffnete Liktoren vor der Tür, ein so ungewöhnlicher Anblick in dieser Stadt, dass Taya allein daraus schließen konnte, dass sie richtig geraten hatte.
„Hallo!“ Sie war hastig aus der Droschke geklettert und musste erst einmal wieder zu Atem kommen, ehe sie normal sprechen konnte. „Ich bin Taya Ikara. Könnt ihr mir sagen, wer für Dekatur Forlore zuständig ist?“
Die aufmerksamen Blick der Liktoren wurden wachsam. Aber noch etwas anderes lag jetzt in ihrem Blick – Abneigung?
„Hauptmann Scarios“, sagte einer von ihnen in deutlich unterkühltem Ton. „Frag vorn beim Diensthabenden nach ihm.“
„Danke.“ Taya humpelte durch zum Tisch des Diensthabenden und saß schon wenige Minuten später im Büro des Hauptmanns.
Scarios war ein älterer Mann. Ergraute Strähnen zogen sich durch sein dunkles Haar, der schwarze Liktorenstreifen war im Laufe der Jahre weicher und blasser geworden. Er sah müde aus, und Taya hegte den Verdacht, dass es sich hier um eine tiefsitzende, bis in die Knochen reichende Erschöpfung handelte. Eine, die nicht auf ein paar schlaflose Nächte schließen ließ, sondern auf zu viele Jahre in einem zu undankbaren Job.
„In meiner Kaste gibt es so einige, denen es nicht gefällt, dass du einen Liktor getötet hast“, sagte er, nachdem sie die nötigen Höflichkeitsfloskeln gewechselt hatten. „Die Männer hatten hier auf der Wache Freunde.“
Taya senkte den Blick. „Es tut mir leid, Hauptmann. Ich bin wirklich nicht stolz auf meine Tat, ich fühle mich ganz schrecklich.“
„Die Untersuchung wird dich von jeglicher Schuld freisprechen. Bei deiner Schussverletzung dürfte es schwer sein zu behaupten, du hättest nicht aus Notwehr gehandelt. Aber trotzdem musst du damit leben, dass dich ein paar Leute nun nicht mehr leiden können. Am besten vermeidest du ab sofort alles, was weiteren Ärger machen könnte.“
„Wie mein Besuch jetzt hier auf der Wache?“
„Genau.“
Sie sah ihn an. Gehörte auch er zu den Leuten, die sie nicht mehr leiden konnten? Aber in dem Gesicht des Hauptmanns stand nichts weiter geschrieben als totale Erschöpfung. „Ich wäre nicht hier, wenn es nicht wichtig wäre. Ich muss mit Alister sprechen – mit Dekatur Forlore. Es geht ... um eine ... private Angelegenheit.“
„Eine private Angelegenheit.“
„Ich muss ihm ein paar Fragen stellen. Ich glaube, er ... sein Bruder und ich, wir ...“ Tayas Stimme wurde immer leiser. Eigentlich wusste sie nicht, was sie sagen sollte. Den Diebstahl konnte sie schlecht zur Sprache bringen, würde der Hauptmann dann doch sofort wissen wollen, warum er noch nicht angezeigt worden war. Natürlich konnte sie ihm sagen, dass Cristof das übernommen hatte und sich deswegen gerade auf einer Wache in Sekundus aufhielt, aber dann würde Scarios sie womöglich warten lassen, bis alles nachgeprüft war, um schließlich die Befragung seines Gefangenen selbst zu übernehmen.
Aber Taya wollte zuerst mit Alister sprechen. Ihr ging es um mehr als nur den fehlenden Prototypen.
„Sein Bruder, der Erhabene Cristof Forlore?“
„Ja.“
„Er hat dich letzte Nacht verteidigt.“
„Ach ja?“
„Er sagt, du hättest ihn auf seinen Befehl hin mit hinauf zum Turm genommen. Ohne zu wissen, dass er vom Dienst suspendiert war.“ Scarios musterte sie mit unergründlichem Blick. „Das Interessante dabei ist: Auch Alister Forlore hat dich verteidigt, als er sein Geständnis ablegte. Er hat uns erzählt, wie du die Erhabene Octavus und ihren Sohn gerettet und dass du William nur getötet hast, um seinen Bruder zu schützen. Er sagte, ohne dich und dein beherztes Eingreifen lägen er und Cristof jetzt tot auf dem Grunde des Maschinenraums. Als er fertig war, hatte man glatt den Eindruck, du wärst eine Heldin.“
„Das war ... großzügig von ihm.“
„Fand ich auch. Aber auch über seinen Bruder wusste Forlore nur Nettes zu sagen, also ist er vielleicht einfach ein großzügiger Mensch.“
„Großzügig – für einen Mörder.“
„Genau.“ Der Hauptmann ließ Taya keine Sekunde aus den Augen. „Ich habe keinen Grund, dich an einer Konversation mit ihm zu hindern. Aber es wird ein Liktor in der Nähe sein und sich eure
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