Das mechanische Herz
Examenskommission gehört?“
„Dazu ist es noch zu früh. Selbst wenn ich bei den schriftlichen Prüfungen gut abgeschnitten habe, heißt das nicht viel. Die Kommission überprüft erst noch ganz genau meinen Hintergrund und spricht mit meinen Arbeitgebern und Freunden.“
„Dann musst du dir ja keine Sorgen machen.“ Ihr Vater zog Taya an sich und drückte ihr einen Kuss auf die Stirn. „Ich habe vollstes Vertrauen zu dir. Die Prüfungen hast du bestimmt mit Bravour bestanden, und niemand redet schlecht über dich, weder unter den Dächern der Stadt noch oben am Himmel. Komm, leg deine Flügel ab und tanz ein bisschen. Für heute hast du deiner Pflicht mehr als Genüge getan.“
„Eigentlich wollte ich nicht mehr allzu lange bleiben.“ Taya warf einen besorgten Blick zu den Flügeln, die ihr über den Kopf ragten. Die Schwungfedern waren immer noch deformiert. Sie war zu spät zum Horst zurückgekehrt, als dass sie die Schmiede noch um Reparatur hätte bitten können, und hatte es nicht gewagt, ohne Flugausrüstung auf der Feier aufzutauchen. Ikarier galten als Glücksbringer, besonders auf Hochzeiten. Von daher hatte sie ihrer Schwester versprochen, bei der Zeremonie ihre Flügel zu tragen.
„Müde?“
„Es war ein langer Tag.“
„Das stimmt wohl, und nun wird er noch länger, weil du Zeit mit uns statt mit der eigenen Kaste verbringen musst.“
Taya musterte ihren Vater besorgt von der Seite, der jedoch stolz und zufrieden lächelte, eine Hand auf ihrem Arm, während sein Blick seiner weißgekleideten, über die Tanzfläche wirbelnden jüngeren Tochter folgte.
Ein heftiges Gefühl der Zuneigung überkam Taya. Sie lehnte sich an ihn und drückte ihm einen Kuss auf die Wange. Ihr Vater war alt geworden, zahlreiche graue Strähnen zogen sich durch das rote Haar, das sie von ihm geerbt hatte, und der Dreck, den seine Arbeitsstelle unweigerlich mit sich brachte, hatte sich wie eine zweite Tätowierung in seine Haut gegraben, wo er seine gesellschaftliche Stellung ebenso klar und deutlich bezeugte wie sein Kastenzeichen, der schwarze Kreis auf seiner Stirn. Taya kannte einige Ikarier, denen es peinlich war, aus der Famulatenkaste zu stammen. Ihr ging es nicht so; sie war immer sehr stolz auf ihren Vater gewesen.
„Um nichts in der Welt hätte ich mir dieses Fest entgehen lassen. Tomas scheint ein guter Mann zu sein.“
„Ist er auch.“ Tayas Vater grinste. „Wir freuen uns sehr, dass du kommen konntest. Du hättest Katie hören sollen. Sie hat wirklich allen mehr als einmal erzählt, dass ihre Schwester, die Ikara, zu ihrer Hochzeit kommen würde.“
„Aber sie ist doch nicht etwa eifersüchtig, weil ich die Kaste verlassen habe, oder?“
„Eifersüchtig auf dich, meine Süße?“ Tayas Vater zog die Brauen hoch. „Bei der Herrin, das nun wirklich nicht. Ihrer Meinung nach führst du ein elendes Dasein. Von morgens bis abends immer nur schuften, noch dazu gefährlich hoch in der Luft, und in all den überfüllten Horsten nicht ein anständiger Mann in Sicht!“
„Es gibt durchaus anständige Ikarier!“ Taya warf ihrer nichtsahnenden Schwester einen erbosten Blick zu.
Schmunzelnd tätschelte ihr der Vater die Schulter, ehe er weiterging, um sich mit seinen Gästen zu unterhalten.
Taya hielt es noch eine Stunde lang aus. Immer wieder wurde sie von Bekannten aus Kindertagen auf das Drahtfährenunglück angesprochen, plauderte höflich mit den Leuten und ließ zu, dass sie ihre Flügel berührten, was ja Glück bringen sollte. Außer ihr waren alle Hochzeitsgäste Famulaten. Sobald die Unterhaltung zu stocken drohte oder sich regionalen Ereignissen zuwandte, verspürte Taya ein vertrautes Unwohlsein. So fühlte sie sich immer, wenn ihr wieder einmal klarwurde, dass sie die Kaste hinter sich gelassen hatte, in die sie hineingeboren worden war. Ein paar Kinder, die wohl kurz vor ihrem großen Examen standen, erkundigten sich, wie man es anstellte, Ikarier zu werden, aber sie konnte ihnen nicht weiterhelfen. Sie wusste nur, dass es wichtig war, klein und ohne Höhenangst zu sein, aber welche weiteren Variablen die Große Maschine bei der Entscheidung heranzog, ahnte auch sie nicht. Dekatur Forlore wüsste es, kam ihr in den Sinn, ein Gedanke, bei dem sie lächeln musste, ehe sie ihn wieder aus ihrem Kopf verbannte.
Sie verspürte ein deutliches Gefühl der Erleichterung, als sie sich schließlich mit einem Kuss von Tomas und Katerin verabschieden und die Party verlassen konnte.
***
Tertius
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