Das mechanische Herz
wahrscheinlich um Emelie ging. Taya stellte die Krücken an der Hauswand ab und lehnte sich gegen das Eisengeländer der Treppe.
Cristof stellte sich neben sie, so dicht, dass der Saum seines Mantels ihr Bein streifte.
„Nun erzählt mir mal von der Absprache, die Ihr mit dem Rat getroffen habt!“, verlangte Taya, nachdem beide eine Weile lang schweigend die Sterne betrachtet hatten.
„Ein wenig weiter die Straße hinunter stehen Bänke. Wollen wir nicht dorthin gehen?“
„Hier kann ich mich auch hinsetzen.“ Taya deutete auf die Bank vor der Wache, auf der Cassi und Pyke sie bei ihrer Ankunft erwartet hatten.
„Ich würde das lieber ganz ungestört besprechen.“
„Ich nicht.“
Cristof hielt immer noch die Ebenholzmaske seines Bruders in der Hand. Gedankenverloren drehte er sie hin und her, ehe er sie kurz entschlossen in eine der riesigen Taschen seines Mantels stopfte.
„Wie du willst.“ Ein letzter Blick zu den Sternen, dann holte Cristof tief Luft. „Der Rat wollte mehr als die Aussicht auf eventuelle wichtige Informationen. Ich bot ihm das Anwesen und sämtlichen Besitz der Familie und teilte ihnen mit, ich sei mehr als zufrieden mit meinem Laden unten in Tertius, aber darauf wollte er sich nicht einlassen. Die Dekaturen sagten, ich sei der Metropole nützlicher, wenn ich mein Leben als Erhabener wieder aufnähme.“
Taya drehte sich zu ihm um. Sein Antlitz war im Schein der Straßenlaternen und des Lichts, das durch die Fenster der Wache drang, gut zu erkennen. Eigentlich hatte sie erwartet, ihn schuldbewußt oder aufgeregt zu sehen, aber Cristofs Miene drückte lediglich feste Entschlossenheit aus.
„Ich habe ihnen mitgeteilt, dass ich nicht bereit bin, unter den Restriktionen meiner Kaste zu leben. Ich habe ihnen genau das gesagt, was ich auch zu dir gesagt habe, und sie fanden, ich sei genau aus diesen Gründen so wertvoll für sie. Sie brauchen einen Erhabenen, der bereit ist, vor Ausländern die Maske abzunehmen.“
Ausländer! Nun war fast gegen ihren Willen Tayas Interesse geweckt. Ein Erhabener, der bereit ist, sich vor Ausländern mit nacktem Gesicht zu zeigen – sie begriff sofort, welchen Wert das für den diplomatischen Dienst haben konnte. „Dann sollt Ihr das öffentliche Gesicht der Erhabenen sein?“
Endlich wagte Cristof, sie anzusehen. Er nickte.
„Natürlich würde ich die Ikarier im diplomatischen Dienst nicht ersetzen. Aber Ondinium hat Probleme mit anderen Ländern, weil unsere herrschende Klasse nicht mit Ausländern spricht. Alle Verhandlungen laufen zwischen ausländischen Gesandten und Ikariern, die letztlich nur Boten sind. Das geht langsam und umständlich vor sich und wird offenbar auch als verletzend empfunden. Der Rat ist der Meinung, er könnte ein paar der diplomatischen Probleme in den Griff bekommen, wenn er mich in Zukunft als ‚Sonderbeauftragten ‘ bezeichnet und nicht mehr als Paria meiner Kaste. Ich soll als Erhabener auftreten, mit Robe und Maske, damit die Botschafter sicher sein können, dass wir sie ernst nehmen. Aber dann nehme ich die Maske ab und rede mit ihnen von Angesicht zu Angesicht, statt alle Unterhaltungen über den Umweg mit den Ikariern laufen zu lassen.“
„Das ist klug!“ Taya runzelte die Stirn. „Echt klug. Das ist denen doch nicht heute erst eingefallen, oder?“
„Wohl kaum.“ Cristof sah sie an, die grauen Augen hell und ruhig. „Ich nehme mal an, der Rat wartet schon seit geraumer Zeit darauf, mir Daumenschrauben anlegen zu können. Wenn die Absprache nicht jetzt im Austausch gegen Alisters Strafmilderung getroffen worden wäre, dann hätte sich sicher irgendwann einmal etwas anderes ergeben.“
Taya warf ihm ein schiefes Lächeln zu.
„Ihr gebt einen grauenhaften Botschafter ab, Cristof.“
„Ich weiß. Ich hatte gehofft, du würdest mir helfen.“
„Ich glaube nicht, dass ich es ertragen könnte, Euch als Chef zu haben.“
Cristof schüttelte den Kopf.
„Nicht als Chef, wir wären Partner. Unsere Botschafter schickt man in der Regel ein oder zwei Jahre ins Ausland, damit sie sich mit einer fremden Kultur vertraut machen können. Als du mir neulich beim Mittagessen von deinem Aufnahmeantrag ins diplomatische Korps erzählt hast, konnte ich an nichts anderes mehr denken, als dass ich dich verlieren würde, wenn du ausgewählt wirst. Als der Rat nun mit diesem Vorschlag kam ... wenn du die Prüfung bestanden hast und man dich nach Si’sier schickt, dann könnte ich mitkommen! Dem Rat gefällt die
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