Das mechanische Herz
die Fingerspitzen von den langen Ärmeln der Robe bedeckt waren. Juwelenbesetzte Säume berührten die Ränder der Maske und hoben sie vom Gesicht.
Für Taya drückte diese Geste nichts anderes als unendliche Trauer und Melancholie aus, aber Amcathra und Scarios beugten sich erregt vor. Sie warf den beiden einen fragenden Blick zu. Was sie in ihren Gesichtern sah, erschreckte sie sehr: Ehrfurcht, ja, aber auch eine fast verschämte Faszination. Möglich, dass die beiden zum ersten Mal das nackte Gesicht eines Erhabenen sahen.
Alister legte die Maske in Cristofs wartende Hände. Seine Wangen waren rot. Taya begriff, wie sehr es ihn demütigte, sein unmaskiertes Gesicht öffentlich vor Angehörigen einer niederen Kaste zur Schau stellen zu müssen. Zum ersten Mal in ihrem Leben erfasste sie voll und ganz, wie privilegiert sie als Ikarierin war – für sie war dieser verbotene Anblick eine Selbstverständlichkeit.
„Es ist besser als der Tod“, flüsterte Cristof. Die beiden Brüder starrten einander an, Cristof mit einem seltsamen Ausdruck des Mitleids im Gesicht, Alister voller Anspannung und Scham.
„Es sah einfacher aus, als du es getan hast.“
„Es war nicht einfacher. Aber du wirst es überleben, genau wie ich.“
„Wozu haben sie dich überredet? Was musstest du aufgeben, um mein Leben zu retten?“
„Nichts, was mir gehört hätte.“
Taya wollte protestieren, aber sie biss die Zähne zusammen und schwieg. Kannst du mir noch ein wenig länger vertrauen?Gut – sie würde Cristof Gelegenheit geben, ihr alles zu erklären, ehe sie ihrem Zorn Luft machte.
Scarios räusperte sich, eine seltsam höfliche Geste bei diesem ansonsten so kurz angebundenen Mann. Alister verspannte sich. Er sah den Hauptmann nicht an.
„Halte dich an deinen Teil der Absprache. Du musst uns alles erzählen, was du über den Diebstahl der Maschine weißt.“
„Hat man schon jemanden verhaftet?“, fragte Alister mit angespannter Stimme. Er hatte die Hände wieder in den Schoß fallen lassen, wo die Robe sie immer noch bedeckte. „Kyle ist verschwunden.“ Als Taya hinkend vortrat, flackerte in den grünlichen Augen zum ersten Mal so etwas wie Interesse auf. Alister sah sie an, erkannte, dass sie die Fittiche umgeschnallt hatte, und ein Teil der Spannung schien aus seinem Antlitz zu weichen. „Hat er mit den Dieben zusammengearbeitet oder ist er von ihnen entführt worden?“, wollte Taya wissen.
„Wenn jemand mit Dieben zusammenarbeitet, dann eher Emelie“, erwiderte Alister.
„Nicht Victor Kiernan?“ Amcathra klang überrascht.
„Victor ist Nonkonformist, ein Einbrecher ist er nicht.“ Noch immer hielt Alister den Blick unverwandt auf Taya gerichtet. Sie nickte ihm aufmunternd zu. „Aber Emelie war immer schon unzufrieden“, fuhr Alister fort. „An der Hochschule hat sie sich durchgemogelt, möglichst wenig getan und bei den Prüfungen geschummelt. Damit will ich nicht sagen, sie sei keine gute Programmiererin! Sie ist gut, bei so etwas kann man nicht betrügen. Aber Emelie wäre gern reich, möchte dafür aber nicht arbeiten.“
„Ihr hattet ein Verhältnis.“ Taya konnte nicht verhindern, dass sich eine anklagende Note in ihre Stimme schlich.
„Sie versprach sich davon Vergünstigungen.“ Alister zog die Brauen hoch, die grünlich funkelnden Augen wichen keinen Moment von Tayas Gesicht. „Die hat sie auch bekommen, bis ich ihrer überdrüssig wurde und die Beziehung beendete.“
„Nett.“
„Kannst du beweisen, dass sie an der Affäre beteiligt war?“, mischte Scarios sich ein.
„Beweise habe ich überhaupt keine, das habe ich auch nie behauptet. Ich habe nur einen Verdacht.“ Alister sah den Hauptmann nicht an.
„Was ist mit den Alzanern?“, drängte Cristof.
„Die Unterlagen über sie sind in meinem Büro.“ Alister riss sich von Taya los und wandte sich an Cristof. „Dort steht ein Schrank, in dem ich Lochkarten aufbewahre. Die Neuillan betreffenden liegen in einem Extraumschlag ganz unten in der Schachtel mit der Aufschrift ‚Ressourcen ‘ . Meine Gruppe dürfte sie lesen können, ohne sie durch eine Maschine zu jagen. Sie sind nicht verschlüsselt.“
„Cassi und Pyke könnten sie holen!“, schlug Taya vor. „Die Gruppe wollte ja auch hierherkommen und vor der Wache warten ...“
Cristof wühlte bereits in seiner Tasche nach den Schlüsseln.
„Lauf du raus zu den Ikariern“, bat er, indem er Amcathra die Schlüssel hinhielt. „Du bist schneller als Taya.“ Der
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