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Das Meer Der Lügen: Ein Lord-John-Roman

Titel: Das Meer Der Lügen: Ein Lord-John-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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Anblick der Leiche war, dass der Konstabler ein Meister der Untertreibung war. Sein zweiter Gedanke war tiefe Erleichterung; die Leiche war in der Tat ziemlich flachbrüstig, jedoch viel zu groß, um Nessie zu sein. Außerdem war das Haar dunkler als das der schottischen Hure - fast schwarz -, und es war zwar dicht und wellig, doch es hatte keine Ähnlichkeit mit Nessies wilder Lockenmähne.
    Das Gesicht war im Großen und Ganzen ausradiert; zerstört durch wütende Hiebe mit der Rückseite eines Spatens oder einem Schüreisen. Grey unterdrückte seinen Abscheu - Quarry hatte Recht gehabt, was den Geruch betraf - und umkreiste langsam den Tisch, auf den man die Leiche gelegt hatte.
    »Meint Ihr, es ist das gleiche?«, fragte Quarry, der ihn beobachtete. »Das Kleid, meine ich. Ihr habt doch ein Auge für solche Dinge.«
    »Da bin ich mir einigermaßen sicher. Die Spitze…« Er wies auf die weiten Einsätze des Leibchens, die zu den
Kanten des Halstuches passten. Das Halstuch selbst hing lose über dem Tisch, zerrissen und blutgetränkt, aber nach wie vor an das Kleid geheftet. »Sie ist aus Valenciennes. Sie ist mir im Bordell besonders aufgefallen, weil sie der Spitze am Hochzeitskleid meiner Cousine sehr ähnlich sieht - das ganze Haus meiner Mutter ist voll davon. Allerdings eine teure Sache.«
    »Also nicht alltäglich.« Quarry betastete das zerrissene Tuch.
    »Ganz und gar nicht.«
    Quarry nickte und wandte sich an Magruder.
    »Ich denke, wir werden uns mit einer Puffmutter namens Maggie unterhalten müssen - hat ihr Haus an der Meacham Street, kennt Ihr es? Eine echte Schande«, fügte er hinzu und wandte sich wieder zu Grey um. »Die Blonde mit den großen Titten hat mir wirklich gefallen.«
    Grey nickte, obwohl er nur halb zuhörte. Das Kleid selbst war so mit Blut und Schmutz verkrustet, dass die Farbe fast nicht zu erkennen war; nur in den herabhängenden Falten des Rockes war noch Smaragdgrün zu sehen. In der Abgeschlossenheit der Kammer war der Geruch sehr stark - Quarry hatte Recht, sie stank wie ein…
    Er beugte sich dichter über die Leiche, die Hände auf dem Tisch, und schnüffelte kräftig. Zibet. Er hätte schwören mögen, dass er Zibet roch - und noch etwas. Die Leiche war parfümiert, auch wenn der Duft von den erdigeren Gerüchen nach Blut und Dung fast überdeckt wurde.
    » Sie benutzt einen teuren Duft. Zibet, Vetiver und Orange, wenn ich mich nicht irre.« In seinem Kopf konnte er Richard Caswells Stimme hören, trocken wie
die Blumen auf einem Grab. » Sie hat dunkles Haar - fast schwarz. Eure Cousine ist meines Wissens blond?«
    Erregung und böse Vorahnungen verkrampften ihm den Magen, als er sich über die Tote beugte. Es musste so sein; dies war Trevelyans mysteriöse Geliebte. Doch was war mit ihr geschehen? Hatte ihr Mann - wenn sie einen hatte - die Affäre entdeckt und Rache genommen? Oder hatte Trevelyan …
    Er schnüffelte noch einmal, gierig nach Bestätigung.
    Wo trugen Frauen Parfum? Hinter den Ohren - nein, unmöglich; die Leiche hatte nur ein Ohr, das andere war nicht geeignet … zwischen den Brüsten vielleicht; er hatte schon einmal gesehen, wie sich seine Mutter vor einem Dinner ein parfümiertes Tüchlein in ihr Mieder steckte.
    Er neigte den Kopf, um noch einmal tiefer einzuatmen, und sah das kleine, geschwärzte Loch in der Mitte des Leibchens, das in der allgemeinen Verwüstung nicht auffiel.
    »Hol mich der Teufel«, sagte er und blickte zu der Phalanx verwunderter Gesichter auf, die über ihm hing. »Sie ist erschossen worden.«
    »Wollt Ihr noch etwas wissen, Mylord?«, flüsterte es neben ihm. Tom Byrd, der sich inzwischen ein wenig an unappetitliche Anblicke gewöhnt hatte, hatte sich dichter herangeschoben und blickte fasziniert auf das zerschmetterte Gesicht der Leiche.
    »Was denn, Tom?«
    Der Finger des Jungen schwebten zögernd über den Tisch und deuteten auf etwas, das Grey für einen Schmutzfleck hinter dem Kiefer gehalten hatte.
    »Sie hat Koteletten.«

     
    Die Leiche war in der Tat die eines Mannes. So verblüffend diese Tatsache jedoch war, sie stand nicht länger im Mittelpunkt des Interesses, sobald sie die Fetzen des grünen Kleides entfernt hatten, um sich Klarheit zu verschaffen.
    »So etwas habe ich im Leben noch nicht gesehen«, sagte Harry Quarry, der den Toten mit einer Mischung aus Ekel und Faszination betrachtete. »Ihr, Magruder?«
    »Nun, dann und wann bei einer Frau«, sagte der Konstabler und spitzte kritisch die Lippen. »Wie ich

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