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Das Meer Der Lügen: Ein Lord-John-Roman

Titel: Das Meer Der Lügen: Ein Lord-John-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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der Sergeant O’Connell umgebracht hat, der auch den hier ermordet hat?« Tom Byrd war neben ihn getreten.

    »Ich habe keinen Grund zu dieser Annahme«, sagte Grey, den diese Frage ein wenig erschreckte. »Warum?«
    »Nun, das, äh, Gesicht.« Tom deutete etwas gehemmt auf die Überreste und schluckte hörbar. Der eine Augapfel war so weit aus seiner Höhle gepresst worden, dass er auf der zerschmetterten Wange baumelte und anklagend ins Halbdunkel des Heuschobers starrte. »Sieht doch so aus, als hätte der Täter nicht besonders viel für ihn übrig gehabt - genauso wie bei dem Mann, der auf dem Sergeant herumgetrampelt ist.«
    Grey dachte mit gespitzten Lippen darüber nach. Dann schüttelte er widerstrebend den Kopf.
    »Ich glaube nicht, Tom. Ich glaube, dass, wer das hier getan hat -«, er wies auf die Leiche, »- es getan hat, um die Identität des Herrn zu verschleiern, nicht aus persönlicher Abneigung. Es ist Schwerstarbeit, einen Schädel so zu zerschmettern, und sie ist sehr gründlich ausgeführt worden. Man müsste schon absolut rasend vor Hass sein - und wenn das der Fall war, warum ist er dann zuerst erschossen worden?«
    »Ist er das? Zuerst erschossen worden, meine ich, Mylord? Denn Ihr habt doch gesagt, dass Tote nicht bluten - und dieser hier hat nun wirklich geblutet, also kann er nicht tot gewesen sein, als er… äh.« Er sah das zerschmetterte Gesicht an, dann wandte er den Blick ab. »Aber er konnte so nicht lange überleben - wozu also noch der Schuss?«
    Grey starrte Tom an. Der Junge war blass, doch seine Augen leuchteten vor Eifer, während er seine Argumente vortrug.
    »Ihr habt eine ausgesprochen logische Denkweise,
Tom«, sagte er. »Warum, in der Tat?« Er blickte einen Moment auf die Leiche hinunter und versuchte, die widersprüchlichen Informationen unter einen Hut zu bringen. Was Tom sagte, leuchtete absolut ein - und doch war er fest überzeugt, dass der Mörder dem Mann das Gesicht nicht aus Wut zertrümmert hatte. Genau wie er überzeugt war, dass wer auch immer auf Tim O’Connells Gesicht getreten war, von genau diesem Gefühl getrieben worden war.
    Tom Byrd stand geduldig da und verhielt sich still, während Grey den Tisch umrundete, um sich die Leiche aus allen Blickwinkeln anzusehen. Doch nichts schien das Rätsel zu lösen, und als Hicks’ Männer eintraten, gestattete er ihnen, die Leiche in einen Leinensack zu schnüren.
    »Wollt Ihr, dass wir das hier auch mitnehmen, Sir?« Einer der Männer ergriff mit spitzen Fingern den nassen Saum des grünen Kleides.
    » Das würde nicht einmal der Leichenbestatter wollen«, wandte der andere ein und verzog die Nase angesichts des Gestanks. »Das könnte man keinem Lumpensammler verkaufen, selbst wenn man es wäscht.«
    »Nein«, sagte Grey. »Lasst es vorerst liegen.«
    »Ihr wollt es aber nicht etwa hier lassen, oder?« Hicks stand mit verschränkten Armen daneben und sah den nassen Samthaufen finster an.
    »Nein, ich denke nicht«, sagte Grey und seufzte. »Wir wollen schließlich den Pferden nicht den Appetit verderben, nicht wahr?«
    Es war vollkommen dunkel, als sie den Stall verließen, und ein asymmetrischer Mond ging am Himmel auf. Keine Droschke war bereit, sie mit ihrem stinkenden Gepäck
mitzunehmen, obwohl es in geteertes Leinen gewickelt war, daher waren sie gezwungen, bis zur Jermyn Street zu laufen.
    Den größten Teil des Weges schwiegen sie, und Grey dachte über die Ereignisse des Tages nach und versuchte vergeblich, den Toten irgendwie mit dem Rest des Rätsels in Zusammenhang zu bringen. Es schienen nur zwei Dinge außer Zweifel zu stehen: erstens, dass man erheblichen Aufwand betrieben hatte, um die Identität des Mannes zu verschleiern. Zweitens, dass es irgendeine Verbindung zwischen dem Toten und dem Bordell an der Meacham Street gab - was wiederum bedeutete, dass möglicherweise auch eine Verbindung zu Joseph Trevelyan bestand.
    Dies erschien ihm irgendwie falsch; wenn man die erklärte Absicht der Identitätsverschleierung hatte, warum war die Leiche dann in ein solch auffälliges Kleid gewandet? Sein Verstand lieferte ihm die Antwort, indem er ihm verspätet etwas ins Gedächtnis rief, was er zwar gesehen, jedoch zu diesem Zeitpunkt nicht bewusst registriert hatte. Man hatte dem Mann das grüne Kleid nicht nach seinem Tod angezogen - er hatte es angehabt, als auf ihn geschossen wurde.
    Daran gab es keinen Zweifel. Das Einschussloch in dem Kleid hatte versengte Kanten, und rings herum hatten sich

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