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Das Meer Der Lügen: Ein Lord-John-Roman

Titel: Das Meer Der Lügen: Ein Lord-John-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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seinem Anzug nicht schon genug aufgefallen wäre im Gedränge der Seeleute, Gepäckträger, Schubkarrenfahrer und Austernverkäuferinnen an den Docks, doch immerhin fanden sich hier auch ein paar besser gestellte Herren. Zwei wohlhabend aussehende Kaufleute schlenderten auf ihn zu; der eine hielt eine Art Karte in der Hand, die er dem anderen zu erklären schien. Ein Mann, den er als Bankier erkannte, bahnte sich seinen Weg durch den Schmutz und Schleim auf dem Boden und achtete darauf, sich seinen Rock nicht zu beschmutzen, als er an einer Schubkarre voll glänzender schwarzer Muscheln vorbeistrich, aus der Seetang und Wasser tropften.
    Er war sich bewusst, dass ihn die Leute im Vorbeigehen neugierig ansahen, doch das war nicht schlimm; es war nicht die Art von Neugier, die für Gerede sorgte.
    Zunächst war er zu Trevelyans Haus gegangen, um dort jedoch zu erfahren, dass der Herr sich zu seinem Lagerhaus begeben hatte und vor dem Abend nicht zurückerwartet wurde. Ob er seine Karte dalassen wolle?
    Er hatte abgelehnt und eine Droschke zu den Docks genommen, denn er konnte den Gedanken nicht ertragen, den ganzen Tag zu warten, bis er tun konnte, was getan werden musste.
    Und was würde er tun? Er fühlte sich hohl bei dem Gedanken
an das bevorstehende Gespräch, klammerte sich jedoch fest an das, was er genau wusste. Die Verlobung musste offiziell gelöst werden. Darüber hinaus würde er aus Trevelyan herausholen, was er konnte - doch das Wichtigste war, Olivia zu beschützen, und das war das Einzige, wofür er persönlich sorgen konnte.
    Er freute sich nicht übermäßig darauf, hinterher heimzugehen und Olivia und seiner Mutter zu sagen, was er getan hatte - ganz zu schweigen davon, warum er es getan hatte. Doch er hatte bei der Armee gelernt, sich nicht mehr als eine Unannehmlichkeit vorzunehmen, und ignorierte daher resolut den Gedanken an alles, was jenseits der nächsten halben Stunde lag. Tu, was getan werden muss, und kümmere dich dann um die Konsequenzen.
    Es war eines der größeren Lagerhäuser des Distrikts, und während derartige Gebäude normalerweise schäbig aussahen, war dieses in gutem Zustand. Im Inneren war es eine gewaltige Schatzkammer; trotz seines Vorhabens nahm Grey sich die Zeit, sich beeindrucken zu lassen: Stapel von Truhen und Holzkisten, auf denen Eigentümer und Zielort mit kryptischen Symbolen vermerkt waren; in Leinen oder Öltuch eingewickelte Bündel, zusammengerollte Kupferbleche und Berge von Brettern und Fässern, die zu fünft oder sechst aufeinander gestapelt an der Wand standen.
    Über den schieren Überfluss hinaus beeindruckte ihn das Gefühl der Ordnung inmitten der Konfusion. Männer kamen und gingen; beladen wie die Ameisen, trugen sie unablässig Dinge davon. Der Fußboden war mehrere Zentimeter hoch mit dem duftenden Stroh bedeckt, das zur Verpackung benutzt wurde und die Luft mit goldenem
Staub erfüllte, der von den Bewegungen der Füße aufgewirbelt wurde.
    Grey strich sich die Strohhalme von seinem Rock und atmete tief und lustvoll ein; die Luft war mit den betörenden Düften von Tee, Wein und Gewürzen parfümiert, über die sich sanft die öligeren Gerüche von Walfett, Kerzenwachs und Gutta legten, und das Ganze basierte auf einem soliden Grundton aus echtem Teer. Bei jeder anderen Gelegenheit hätte Grey liebend gern in dem faszinierenden Durcheinander herumgestöbert, heute aber leider nicht. Mit einem letzten, reumütigen Atemzug wandte er sich ab, um seinen Verpflichtungen nachzukommen.
    Er bahnte sich seinen Weg durch das Gedränge zu einer Gruppe von Schreibkräften, die auf hochbeinigen Hockern saßen und wie verrückt vor sich hin kritzelten, assistiert von einer Anzahl Jungen, die zwischen ihnen hindurchstrichen wie Milchmägde durch eine Kuhherde, um sie zu melken und die fertig gestellte Arbeit zu einer Tür in der Wand zu tragen, hinter der der Fuß einer Treppe auf das Vorhandensein von Büroräumen im ersten Stock hindeutete.
    Sein Herz machte einen unangenehmen Satz, als er Trevelyan persönlich erspähte, der in ein Gespräch mit einem tintenfleckigen Funktionär vertieft war. Er atmete die duftende Luft tief ein, schlängelte sich durch das Gewirr der Hocker und tippte Trevelyan auf die Schulter. Trevelyan, der eindeutig nicht an Unterbrechungen gewöhnt war, fuhr herum, hielt jedoch bei Greys Anblick überrascht inne.
    »Oh, John«, sagte er und lächelte. »Was führt Euch denn hierher?«
    Etwas verblüfft, weil er mit seinem Vornamen

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