Das Meer Der Lügen: Ein Lord-John-Roman
angesprochen wurde, verneigte sich Grey formell.
»Eine Privatsache, Sir. Könnten wir -« Er wies mit hochgezogenen Augenbrauen auf die Reihen der fleißigen Schreiber und nickte in Richtung der Treppe.
»Natürlich.« Mit etwas verdutzter Miene schickte Trevelyan einen wartenden Angestellten fort und schritt als Erster die Treppe hinauf zu seinem Büro.
Es war ein überraschend schlichter Raum; groß, aber einfach möbliert. Ein Tintenfass aus Elfenbein und Kristall sowie die kleine Bronzestatue einer vielarmigen indischen Gottheit bildeten den einzigen Zierrat. Grey hatte etwas sehr viel Prunkvolleres erwartet, etwas, das zu Trevelyans Reichtum passte. Andererseits war dies wohl einer der Gründe, warum Trevelyan reich war .
Trevelyan wies ihm mit einer Handbewegung einen Stuhl zu, um dann selbst hinter dem großen, abgenutzten Schreibtisch Platz zu nehmen. Doch Grey blieb stocksteif stehen, während ihm das Blut leise in den Ohren pulsierte.
»Nein, Sir, ich danke Euch. Es wird nicht lange dauern.«
Trevelyan sah ihn überrascht an. Seine Augen verengten sich und schienen erst jetzt zu bemerken, wie steif er sich verhielt.
»Stimmt etwas nicht, Lord John?«
»Ich bin gekommen, um Euch mitzuteilen, dass Eure Verlobung mit meiner Cousine beendet ist«, sagte Grey unverblümt.
Trevelyan kniff ausdruckslos die Augen zu.
Was würde er wohl tun?, fragte sich Grey. »Oh« sagen und es dabei belassen? Eine Erklärung verlangen? Wütend werden und ihn herausfordern? Bedienstete herbeirufen, um ihn von seinem Grund und Boden zu entfernen?
»Setzt Euch doch, John«, sagte Trevelyan schließlich immer noch in demselben herzlichen Tonfall wie zuvor. Er lehnte sich mit einer einladenden Geste zurück.
Da er keine andere Möglichkeit sah, setzte sich Grey und legte sich den Spazierstock über die Knie.
Trevelyan rieb sich das lange, schmale Kinn und betrachtete Grey, als sei dieser eine besonders interessante Ladung chinesischer Keramik.
»Ich bin natürlich etwas überrascht«, sagte er höflich. »Habt Ihr mit Hal darüber gesprochen?«
»In Abwesenheit meines Bruders bin ich das Familienoberhaupt«, sagte Grey bestimmt. »Und ich habe entschieden, dass Eure Verlobung mit meiner Cousine unter den gegebenen Umständen nicht fortgesetzt werden sollte.«
»Wirklich?« Trevelyan behielt seine höfliche Miene aufgesetzt, zog allerdings skeptisch eine Augenbraue hoch. »Ich frage mich aber doch, was Euer Bruder bei seiner Rückkehr sagen wird. Sagt mir, wird er nicht recht bald zurückerwartet?«
Grey stellte die Spitze des Spazierstocks auf den Boden, nahm ihn fest in die Hand und stützte sich darauf. Zum Teufel mit meinem Schwert , dachte er und behielt sein Temperament in ähnlich festem Griff. Ich hätte eine Knute mitbringen sollen.
»Mr. Trevelyan«, sagte er mit stählerner Stimme. »Ich habe Euch meine Entscheidung mitgeteilt. Sie ist endgültig. Ihr werdet Eure Besuche bei Miss Pearsall augenblicklich einstellen. Die Hochzeit wird nicht stattfinden. Habe ich mich verständlich ausgedrückt?«
»Nein, das kann ich eigentlich nicht behaupten.« Trevelyan
legte die Fingerspitzen beider Hände aneinander und hielt sie genau unter seine Nasenspitze, sodass er Grey über sie hinweg ansah. Er trug einen mit einem Edelstein besetzten Siegelring, in den der Rabe Cornwalls eingraviert war, und der grüne Stein glitzerte, als er sich zurücklehnte. »Ist irgendetwas vorgefallen, das Euch zu diesem - ich hoffe, Ihr verzeiht mir die Wortwahl - voreiligen Schritt bewogen hat?«
Grey musterte ihn einen Moment und überlegte. Schließlich griff er in seine Tasche und zog das Öltuchpäckchen hervor. Er legte es vor Trevelyan auf den Tisch und klappte es auf. Damit setzte er einen derart fauligen Gestank frei, dass jeder Hauch von Gewürzen oder Stroh darin unterging.
Trevelyan starrte ausdruckslos auf das Stückchen grünen Samt. Seine Nasenlöcher zuckten sacht, und er holte tief Luft, als wollte er etwas inhalieren.
»Entschuldigt mich einen Moment, ja, John?«, sagte er und erhob sich. »Ich sorge nur dafür, dass wir nicht gestört werden.« Er verschwand auf dem Treppenabsatz und ließ die Tür hinter sich zufallen.
Greys Herz schlug immer noch schnell, doch jetzt, da der erste Schritt getan war, hatte er sich besser im Griff. Trevelyan hatte das Samtstück erkannt, daran gab es keinen Zweifel.
Einerseits war dies eine große Erleichterung; es würde nicht nötig sein, Trevelyan auf seine Krankheit
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