Das Meer Der Lügen: Ein Lord-John-Roman
wendete.
Sechs Eier später kam sie vor Reinhardt Mayrhofers Haus zum Stehen.
Von Namtzen sprang behände von der Kutsche, setzte seinen Helm auf und schritt kühn wie Achilles mit wehenden Federn auf die Tür des Hauses zu. Auch Grey ergriff seinen Hut, so armselig und bedeutungslos dieser im Vergleich auch erscheinen mochte, und folgte ihm, wobei er sich für den Fall, dass seine Knie nachgaben, fest an Tom Byrds Arm klammerte.
Als Grey die Schwelle erreichte, stand die Tür offen, und von Namtzen ließ eine Flut deutscher Bedrohlichkeit über dem Butler niedergehen. Greys Deutschkenntnisse reichten gerade so weit, dass er etwas Konversation betreiben konnte, doch verstand er, dass von Namtzen den Butler aufforderte, Reinhardt Mayrhofer zu holen, und zwar sofort, wenn nicht schneller.
Der Butler, ein kantiger Mensch in den mittleren Jahren, dessen Stirn einen sturen Ausdruck hatte, widerstand dieser ersten Salve tapfer, indem er darauf beharrte, dass sein Herr nicht zu Hause sei, doch der Mann hatte eindeutig keine Ahnung von der wahren Macht der Armeen, die sich vor ihm aufgebaut hatten.
»Ich bin Stephan Landgraf von Erdberg«, verkündete von Namtzen hochmütig und richtete sich zu voller Größe auf - welche Grey inklusive Federn auf ungefähr zwei Meter zehn schätzte. »Ich werde jetzt eintreten.«
Das tat er auch prompt, wobei er den Kopf nur so weit senkte, dass sein Helm nirgendwo anstieß. Der Butler
wich zischend zurück und protestierte mit aufgeregten Handbewegungen. Grey nickte dem Mann im Vorübergehen kühl zu und schaffte es, die Würde der Armee Seiner Majestät zu wahren, indem er die ganze Eingangshalle ohne Unterstützung durchquerte. Beim Erreichen des Morgenzimmers steuerte er auf die erstbeste Sitzgelegenheit zu und brachte es gerade noch fertig, darauf Platz zu nehmen, bevor seine Beine nachgaben.
Von Namtzen hatte die Stellung des Butlers unter Kanonenbeschuss genommen, und sie schien jetzt rapide zu bröckeln, wurde jedoch noch verteidigt. Nein, sagte der Butler, der jetzt sichtlich die Hände rang, nein, der Herr sei ganz bestimmt nicht zu Hause, und nein, das Gleiche gelte leider auch für die Herrin …
Tom Byrd war Grey gefolgt und legte beträchtliche Ehrfurcht an den Tag, als er sich jetzt im Zimmer umsah und die Malachittische mit den goldenen Beinen, die weißen Damastvorhänge und die gigantischen, goldgerahmten Gemälde entdeckte, die sämtliche Wände bedeckten.
Grey schwitzte heftig von der Anstrengung des Gehens, und der Schwindel versetzte seinen Kopf erneut in Bewegung. Doch er brachte sich mit eiserner Hand unter Kontrolle und blieb aufrecht sitzen.
»Tom«, sagte er leise, um die Aufmerksamkeit des belagerten Butlers nicht auf sich zu lenken. »Geht und durchsucht das Haus. Dann kommt zurück und sagt mir, was - oder wen - Ihr gefunden habt.«
Byrd warf ihm einen argwöhnischen Blick zu, denn offenbar hielt er dies für einen Vorwand Greys, ihn loszuwerden, um unauffällig zu sterben - doch Grey hielt sich kerzengerade und biss die Zähne zusammen, und
nach ein paar Sekunden nickte der Junge und schlüpfte lautlos aus dem Zimmer, ohne dass ihn der geplagte Butler bemerkte.
Grey atmete tief aus, schloss die Augen und klammerte sich an seinen Knien fest, bis das Schwindelgefühl nachließ. Es schien jetzt schneller zu vergehen; nur ein paar Momente, und er konnte die Augen wieder öffnen.
Unterdessen schien von Namtzen den Butler besiegt zu haben und verlangte jetzt lauthals eine sofortige Versammlung des gesamten Haushalts. Er sah sich nach Grey um und unterbrach seine Tirade für einen Augenblick.
»Oh, und bitte bringt mir das Eiklar von drei Eiern in einem Becher.«
»Wie bitte?«, fragte der Butler schwach.
»Eier. Seid Ihr taub?«, erkundigte sich von Namtzen in beißendem Tonfall. »Nur das Eiweiß. Schnell!«
Peinlich berührt von dieser öffentlichen Sorge um seinen geschwächten Zustand, zwang sich Grey in die Senkrechte und trat neben den Hannoveraner, der jetzt - da die Niederlage des Butlers vollständig war - seinen Helm abgenommen hatte und ein sehr selbstzufriedenes Gesicht machte.
»Geht es Euch jetzt besser, Major?«, fragte er und tupfte sich vorsichtig mit einem Leinentaschentuch den Schweiß vom Haaransatz.
»Sehr viel besser, ich danke Euch. Verstehe ich es richtig, dass sowohl Reinhardt Mayrhofer als auch seine Frau nicht da sind?«
Reinhardt, so dachte er, war mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht da. Doch
Weitere Kostenlose Bücher