Das Meer der Seelen Bd. 1 - Nur ein Leben
Saal ein Dutzend Stockwerke hoch war. »Wir könnten die Bücherregale in der Mitte für das Klavier beiseiterücken.«
Er gab einen Laut von sich, der nicht ganz ein Lachen war, und ließ die Tür hinter sich zufallen. »Aber die Akustik ist schrecklich. Und wo würden wir schlafen?«
Ich ließ die Hände durch die Luft fahren, zu den riesigen, gepolsterten Sesseln und Sofas und den Decken, die über ihre Arme und Rückenlehnen gehängt waren. Gedämpfte, samtige Farben passten zu dem Holz ringsum. Alles war so gemütlich und ruhig. Ich konnte mir nicht vorstellen, warum die Leute nicht darum kämpften, für immer hierbleiben zu dürfen.
»Aber die Akustik«, protestierte er.
»Wir würden umräumen, damit es besser wird.« Ich ließ den Kopf sinken und entspannte mich. »Wo ist die Abteilung für Musikgeschichte? Da schlafe ich.«
Er warf mir einen Blick zu, den ich nicht deuten konnte.
Ich wandte mich zur Seite, damit er nicht sah, dass ich rot wurde. »Ich schätze, die haben wir bei dir zu Hause, oder?«
»Lass uns einmal durch die ganze Bibliothek gehen. Ich zeige dir, wo alles ist, damit du dich nicht verläufst.« Er bot mir den Arm, aber ich nahm ihn nicht, und er ließ die Hand fallen, als hätte er es nie versucht.
»Ich werde vielleicht eine Karte brauchen und eine Leuchtfackel.« Ich strich mit den Händen über einen glatten Ledersessel, der dabei zischte. Das polierte Holz knarrte, als ich den Schreibtisch berührte, den Sam öffnete.
Er zog einen Schreibblock und einen Stift heraus und gab sie mir. »Dann könntest du einen Papierflieger bauen. Aber ich weiß nicht, ob ihn jemand sehen würde, um dich zu retten. Du wirst dir deine eigene Karte machen müssen.«
Na klar.
Mit übertriebenem Stolz deutete er auf das andere Ende der Bibliothek. »Alles an der Nordwand und in den angrenzenden Bücherregalen sind persönliche Tagebücher. Auf allen Stockwerken. Professionelle Tagebücher werden in den Abteilungen aufbewahrt, die ihrem Gegenstand gewidmet sind.«
Ich schaute wieder nach oben. Zwölf Stockwerke, vollgestopft
mit den Tagebüchern von einer Million Menschen aus fast fünftausend Jahren. Mein Kopf schmerzte bei dem bloßen Gedanken daran.
»Sieh dir ruhig alles an, was du willst. Das ist der Grund, warum die Leute sie herbringen – damit andere aus ihnen lernen können.« Er griff in das nächste Regal und legte den Finger oben auf den Rücken eines Buches und kippte es so aus seinem Stellplatz. »Zu Beginn eines neuen Lebens kehren die Menschen für gewöhnlich zurück und schreiben das Ende ihres vergangenen Lebens auf. Im Allgemeinen erwähnen sie, wie sie gestorben sind, damit andere dieses Schicksal vermeiden können.« Er grinste und zwinkerte mir zu, aber für mich klang es nicht komisch. »Genealogien sind auf dieser Etage …«
»Können wir uns zuerst etwas ansehen?« Ich hätte es lieber alleine versucht, aber jemand musste mir sagen, ob ich Recht hatte. Wenn schon jemand erleben musste, wie ich mich zum Narren machte, konnte es genauso gut Sam sein.
Er wartete und sagte natürlich nichts über die unhöfliche Art, wie ich ihn unterbrochen hatte. Li hätte mich dafür geschlagen.
Ich ließ mich von dem staubigen Frieden der Bibliothek beruhigen, ehe ich die Worte herauszwang. »Gibt es Fotos oder Videos von dir? Von früher?«
Einen klopfenden Herzschlag lang herrschte Stille, dann nickte er. »Ein paar.«
Mir drehte sich alles. »Ich muss sie sehen.«
Er biss sich auf die Lippen – das erste Mal, dass ich ihn das tun sah, und ich fragte mich, ob er es von mir aufgeschnappt hatte. Dann blickte er nach oben. »Wird das irgendetwas ändern? Zwischen uns?«
Ich wollte ihn daran erinnern, dass es nichts zu ändern gab. An diesem Morgen war nichts geschehen . Aber so ganz stimmte
das auch nicht, und nach all meinen Gedanken im Saal des Rates hatten sich die Dinge bereits verändert. Es war nur eine Frage, wie. »Ich weiß es nicht.«
Sam senkte den Kopf, dann führte er mich nach oben und durch ein Labyrinth von Bücherregalen voller Fotoalben und Videos aus verschiedenen Epochen der Technologie.
Wir betraten einen abgeschiedenen Bereich, in dem die Regale die Geräusche dämpften. Sam deutete auf einen der großen Stühle und bat mich, Platz zu nehmen, während er auf den Regalen nach Fotos und Speicherchips suchte. Als ein Knopf klickte, glitt eine Abdeckplatte zur Seite, um einen großen, leeren Bildschirm zu enthüllen. Sam schob die Chips in die
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