Das Meer der Seelen Bd. 1 - Nur ein Leben
Sperrstunde.«
Ich zog die Augenbrauen hoch.
»Einundzwanzigste Stunde, jede Nacht, es wird erwartet, dass du zu diesem Zeitpunkt bei Sam bist. Du wirst stichprobenartig überprüft werden. Wenn du nicht da bist oder dich verspätest, wirst du die Konsequenzen tragen müssen.«
»Die da wären?« Jetzt interessierten sie sich dafür, dass ich
des Nachts sicher daheim war? Jetzt, nachdem ich achtzehn Jahre bei Li gelebt hatte, die sich nicht darum scherte, ob ich im Wald schlief und von Wölfen gefressen wurde?
»Die Schwere deiner Bestrafung hängt von der Schwere deines Vergehens ab.«
Zu spät ins Bett gehen war ein Vergehen? Ich öffnete den Mund, um zu fragen, aber Sam kam mir zuvor.
»Es können doch bestimmt Ausnahmen für Lektionen gemacht werden, bei denen Ana nachts zur Verfügung stehen muss.« Sam sah Meuric viel sagend an. »Wie zum Beispiel Astronomie oder die Beobachtung von nachtaktiven Tieren.«
»Keiner dieser Punkte stand auf deiner Liste.« Meuric sah stirnrunzelnd auf seine Papiere. »Aber wenn sich die Notwendigkeit ergibt, können Ausnahmen gemacht werden. Es muss nur vorher ein Antrag gestellt werden. Ich möchte nicht, dass Ana grundlos in Schwierigkeiten gerät.«
»Monatliche Fortschrittsberichte.« Frase schob ein Blatt Papier über den Tisch zu Sam hinüber. »Wir haben eine Liste der Fertigkeiten aufgestellt, die Ana lernen soll, zusätzlich zu denen, die du bereits festgesetzt hast. Fühl dich nicht unter Druck gesetzt, jetzt alles sofort durchzugehen, aber vergiss nicht, dass wir nächstes Jahr um diese Zeit eine Prüfung ihrer Fortschritte verlangen werden. Wir haben außerdem eine Liste potenzieller Lehrer für diese Fächer hinzugefügt.«
Sam überflog die Liste, sein Arm versperrte mir die Sicht. »Sie kann bereits lesen.«
»Ich habe es mir vor einigen Jahren selbst beigebracht«, fügte ich hinzu.
Frase machte ein Gesicht, das ein Lächeln hätte sein können, aber ich sah nur Zähne. »Dann wird sie auf diesem Gebiet keine Probleme haben. Der Rat verlangt trotzdem Studien und Prüfungen.«
»Die Hälfte der Leute auf dieser Liste hat«, Sam warf mir einen Blick zu, »deutlich ihren Abscheu über das Erscheinen einer Neuseele bekundet. Es ist unfair, Ana zu zwingen, unter ihnen zu studieren.«
»Wir können nicht immer mit unseren Freunden arbeiten«, wandte Antha ein. »Vielleicht ändern die Leute ihre Meinung über Neuseelen, wenn sie Ana kennen lernen.«
Das hielt ich für eher unwahrscheinlich.
»Ist schon gut, Sam.« Ich bemühte mich um einen ruhigen Tonfall. »Ich mach das schon.«
Seine Kiefermuskeln zuckten, aber er nickte. »Also gut.«
»Ich denke, dass sollte für den Moment alles sein.« Meuric drehte sich zu mir um. »Stimmst du diesen Bedingungen zu?«
Da ich mich fürchtete nachzufragen, was geschah, wenn ich es nicht tat, nickte ich nur.
»Dann sind wir hier fertig.« Er stand auf und bot mir die Hand. Als alle mir die Hand geschüttelt hatten – einige sanfter als andere mit meiner noch nicht ganz verheilten Haut –, wollten Sam und ich den Saal des Rates verlassen.
»Auf ein Wort, Sam«, rief Meuric.
Sam bedeutete mir mit einem Nicken, dass ich draußen warten sollte. Sobald sich die Tür hinter mir schloss, hörte ich ihre leisen, zornigen Stimmen. Das schwere Holz dämpfte ihre Worte, aber ab und zu kam Sams tiefe Stimme durch, und er wirkte nicht gerade glücklich.
Ich lehnte mich an die Wand, und mir graute davor, zu erfahren, worüber sie redeten.
Nach einer Viertelstunde konnte ich es nicht länger ertragen, ihnen zuzuhören. Ich stieß mich von der Wand ab und ging den Weg zurück, den wir hereingekommen waren. Gerade als ich um die Ecke biegen wollte, öffnete sich mit einem Klicken die Tür.
Sam sah sich suchend im Flur um, und sein aufgebrachter Blick heftete sich auf mich. Er biss die Zähne zusammen, seine Schultern waren verkrampft. Die Falte zwischen seinen Augen war mehr ein Graben, als er mit langen Schritten auf mich zukam und über mir aufragte. »Versuch nicht wegzugehen.«
Ich widerstand dem Drang, einen Schritt zurück zu machen. »Ich wollte die Bibliothek suchen.«
»Die fünf Minuten hättest du warten können.«
»Es waren eher fünfzehn, und du hättest gewusst, wo du mich suchen müsstest.«
»Darum geht es nicht.« Er begann, um mich herumzugehen, aber ich bewegte mich nicht. »Komm.«
»Warum bist du sauer?«
Er stellte sich vor mich hin und sah mich an, als sei ich der dümmste Mensch der
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