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Das Meer Der Tausend Seelen

Das Meer Der Tausend Seelen

Titel: Das Meer Der Tausend Seelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carrie Ryan , Catrin Frischer
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Erinnerung behalten, wie sie war. Will auslöschen, wie sie aussieht, als sie mir nur noch das Fleisch von den Knochen reißen, wie sie mich verschlingen will. Ich möchte dem Grauen nachgeben, das an mir nagt und mich mit seinen Krallen zu Boden zieht.
    Lauf! , schreit mein Verstand. Hau ab! , brüllt er. Tu was! Egal, was!
    Die Dunkelheit der Nacht bedrängt mich, schließt mich ein, schirmt alles von mir ab, nur nicht das Geräusch von Mellies Füßen auf der Erde, die die Entfernung zwischen uns tilgen.
    Mein Kopf brüllt: Hau ab! Los! Sie ist zu nah! Hau ab!
    Ich beiße die Zähne zusammen und versuche den Arm ruhig zu halten. Der Augenblick zieht sich in die Länge, Mellies Haar weht hinter ihr her, ihr Mund öffnet sich langsam, die Zähne schimmern. Ich konzentriere mich auf ihren Hals, stelle mir vor, wie meine Klinge ihn durchschneidet. Ich versuche abzuwarten, versuche mich an die Ausbildung zu erinnern.
    Ich kann nicht atmen. Sie ist zu nah, ich kann nicht warten. Ich spanne meinen Arm an, und mit der Kraft meines Grauens und meiner Panik schwinge ich das Messer durch die Luft.
    Mein Körper verdreht sich. Die Klinge gleitet mit Leichtigkeit durch Nichts, und als sie mit mir zusammenstößt, wird mir klar, dass ich zu früh ausgeholt habe. Hätte ich einen Moment länger gewartet, hätte ich sie aufhalten können. Ihre Arme verhaken sich mit meinen, ihr Kopf schlägt an mein Kinn, ich falle hintenüber und pralle mit dem Schädel auf den rissigen Beton unter mir.
    Ich höre den Aufschlag, ehe ich ihn spüre. Ich sehe die Bewegung, ehe ich es verstehe. Mellies Mund, der heute Abend noch von Träumen und der Dunklen Stadt gesprochen hat, senkt sich zu mir hinab.
    Und dann ist sie weg. Der Druck ihres Körpers auf meiner Brust ist verschwunden. Ich wälze mich auf die Seite und sehe Catcher, der über den Boden rollt. Mellies Zähne mahlen, sie hat die Arme um ihn geschlungen. Wie eine Katze, die sich gegen das Ertränken wehrt, kämpft sie. Ich beobachte, wie ihre Fingernägel über seinen Arm kratzen, wie das Blut dünne Bahnen zieht. Doch das bewirkt nichts weiter, als dass sie in noch größere Raserei verfällt.
    Ich versuche auf die Beine zu kommen, stolpere jedoch. Ich greife nach meinem Messer, aber meine Faust kann es kaum umschließen. Ich ziehe meinen Arm zurück und mache mich wieder zum Zustechen bereit, aber ich weiß nicht, wo der eine Körper aufhört und der andere anfängt. Alles besteht nur aus Fleisch und Blut und Zähnen, Grunzen und Stöhnen.
    Dann knirscht es, als ob ein alter Mann alle Finger auf einmal knacken lassen würde. Und dann ist gar nichts mehr da, nur noch Catcher, der keuchend dahockt. Seine Hände halten Mellies Kopf noch immer fest im Griff, ihr Genick ist gebrochen und ihr Körper endlich reglos.
    Er schaut zu mir auf, seine Arme gleiten von Mellies Haar und baumeln herunter. Blut läuft ihm über den Unterarm und tropft von den Fingern. Doch ich sehe nur die sichelförmige Wunde an seiner Schulter, wo er gebissen worden ist.

4
    I ch schlucke. Blut tropft von Catchers Fingern. Um mich herum verhallen die Schreie, bis nichts mehr zu hören ist – als hätte es sie nie gegeben.
    »Du …«
    »Geh nach Hause, Gabry«, sagt er.
    Hinter uns in der Stadt fangen die Glocken an zu läuten, das ist die höchste Alarmstufe. Sie müssen unsere Schreie drüben im Wächterhaus neben dem Tor gehört haben, oder jemand ist losgerannt und hat sie benachrichtigt. Da sie nun wissen, dass es hier draußen Probleme gibt, wird es nicht mehr lange dauern, bis die Miliz kommt, um die Sache zu untersuchen.
    »Aber …« Aber was ist mit dir? , will ich sagen. Was ist mit dem Biss? Was ist mit der Ansteckung? Ich will fragen, was nun passieren wird, aber ich weiß es schon. Obwohl der Biss nicht schlimm ist, wird er ihn letztlich umbringen. In eisigen Bahnen windet sich der Schock durch mich hindurch.
    Ansteckung bedeutet Tod … immer.
    »Geh nach Hause«, wiederholt er. Seine Stimme ist belegt, als ob er meine Gedanken hören könnte. Ich sehe ihm an, dass er alles weiß, was ich auch weiß. Ihm ist klar, was mit ihm passieren wird.
    »Die Miliz wird bald hier sein. Sie dürfen dich nicht finden«, sagt er. »Du würdest in zu große Schwierigkeiten geraten.«
    Ich mache einen Schritt auf ihn zu. Was von unserer Gruppe noch übrig ist, kauert vor der Achterbahn, auf der anderen Seite der Betonfläche. Ein Junge drückt sein Hemd auf das Bein eines Mädchens, Tränen strömen über ihre

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