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Das Meer Der Tausend Seelen

Das Meer Der Tausend Seelen

Titel: Das Meer Der Tausend Seelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carrie Ryan , Catrin Frischer
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Stimme ist so schwach, so hoch. »Ich meine, dass ich dich geschlagen habe. Vielen Dank.« Ich schaue zu ihm hoch. »Danke, dass du mich gerettet hast.«
    Er schweigt, und ich schaue über die Schulter in das Gewirr von Schatten. Die altbekannte Panik flüstert mir ins Ohr. Hier hinter dem Vergnügungspark sind die Gebäude verfallen, die Straßen voller Schutt, Gestrüpp und Trümmer. Hier finde ich nichts, das ich als Waffe benutzen könnte, außer herumliegenden Felsbrocken und Steinen; alles, was noch zu gebrauchen war, hat man schon vor Jahren geborgen, und nichts von Wert ist zurückgeblieben.
    Die Panik wird zu einer Art Summen, das mir über die Haare läuft, den Nacken hinunter. Ich bin mir nicht sicher, ob ich den Weg hier heraus finden könnte, wenn ich wegrennen würde. Außerdem weiß ich genau, wenn ich jetzt flüchten würde, würde ich nicht weit kommen, bevor er mich wieder eingefangen hätte.
    Ich will mein Haar aus dem Gesicht streichen, aber es ist nass und verknotet, also verschränke ich die Arme vor der Brust und umklammere meine Ellenbogen. Meine durchweichten Kleider kleben mir an der Haut, ich fühle mich bloßgestellt. Wie hatte ich nur so ein blödes Risiko eingehen können?
    »Du bist …« Er macht eine Pause und räuspert sich. Seine Augen sind groß, der Mond hängt über dem Horizont und betont die Schatten an seinen Wangen und Wimpern.
    »Ich bin Gabrielle«, sage ich, meine Stimme ein Flüstern. »Gabry«, füge ich hinzu. Ich kann ihm nur einen flüchtigen Blick zuwerfen, habe Angst, ihm in die Augen zu schauen, Angst, dort Hunger oder Wut zu sehen.
    Er zieht die Augenbrauen zusammen, starrt mich an, und ich fühle mich nur noch unwohler. »Ich bin Elias«, sagt er schließlich. Aber er kommt nicht auf mich zu oder streckt mir gar die Hand hin, damit ich sie schüttele. Hinter ihm drücken sich die Mudo an den Zaun, sie recken sich nach uns. Ihr Stöhnen driftet durch meinen Kopf und vermischt sich mit dem panischen Summen, das einen Geschmack nach altem Metall in meinem Rachen hinterlässt.
    Von allen Seiten schließt mich Gefahr ein. Ich drücke meine Ellenbogen noch fester. Schließlich schaue ich in seine Augen und sehe ein verwirrtes Flackern, bevor er es wegblinzeln kann. Ich schaue zu Boden, komme mir seltsam vor und unbeholfen. Ich weiß nicht, was ich zu ihm sagen soll oder wie man überhaupt ein Gespräch mit einem Fremden anfängt. Ich will ihn bitten, mir nichts zu tun, aber irgendwie habe ich das Gefühl, es wäre verkehrt, so etwas zu sagen. Wenn er mir wirklich etwas antun wollte, hätte er mich am Strand lassen können. Oder er hätte mir nicht vom Boden aufhelfen müssen, als ich vom Zaun gesprungen bin.
    Mir fällt ein, wie er gezögert hatte, ehe er mich auf die Füße zog. Er war mir nicht gefährlich vorgekommen.
    Er bricht das Schweigen: »Was machst du hier? Wo bist du hergekommen?«
    Ich bin schockiert, ich sollte ihm doch diese Frage stellen. Rasch beiße ich mir auf die Wange. »Ich bin aus Vista.« Ich werfe einen Blick zurück in die Dunkelheit und versuche, entspannt zu wirken und das Zittern aus meiner Stimme herauszuhalten. »Bist du allein?«
    Er beantwortet meine Frage nicht. »Wenn du aus der Stadt bist, was willst du dann hier draußen?« Er macht einen kleinen Schritt auf mich zu, und die Panik kommt mit aller Macht zurück. Ich reiße die Hände hoch und versuche rückwärts zu gehen, aber ich stolpere auf dem rissigen Beton und verliere das Gleichgewicht.
    Er stürzt auf mich zu, ich schlage nach seinen Händen und will ihn wegstoßen. Aber er ist stärker als ich, seine Finger können meine Oberarme leicht umschließen, sein Griff ist fest.
    In meinem Kopf ist nur ein einziger Gedanke: Wie kann es sein, dass wir nur auf die Schrecken der Mudo fokussiert sind und kaum an die Gefahren in der normalen Welt denken? An die Zwischenorte voller gesetzloser und verzweifelter Plünderer?
    Einen Moment lang stehen wir da, sein fester Griff um meine Arme verhindert, dass ich auf die scharfe Kante einer eingestürzten Mauer falle. Hier und jetzt könnte er mir alles Mögliche antun. Ich könnte treten, schreien und beißen. Aber wer würde mich hören? Und wenn er hier draußen in der Welt ohne den Schutz der Städte überlebt hat, weiß er gut genug, wie er sich vor Bissen zu schützen hat. Ich unterdrücke ein Wimmern, er soll nicht wissen, wie verängstigt ich bin.
    Doch er muss es in meinen Augen gesehen haben, denn plötzlich wird sein Gesicht blass.

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