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Das Meer Der Tausend Seelen

Das Meer Der Tausend Seelen

Titel: Das Meer Der Tausend Seelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carrie Ryan , Catrin Frischer
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Schnell weicht er einen Schritt zurück, wischt seine Finger an der Tunika ab, als wolle er fortwischen, wie ich mich anfühle. Mir ist fast schwindelig vor Erleichterung.
    »Ich bin nicht …«, er stolpert über seine Worte. »Ich würde nicht …« Er wedelt mit den Händen und vergrößert den Abstand zwischen uns beiden. Sein Hals wird eng, schließlich flüstert er: »Ich werde dir nichts tun.« Er zögert, ehe er hinzufügt: »Gabrielle.«
    Irgendetwas ist an dieser Art, wie er meinen Namen sagt. Vielleicht kommt es mir auch nur so vor, weil ich mittlerweile in allen Varianten kennengelernt habe, wie mein Name klingen kann und wie er den Leuten in meiner Stadt über die Lippen kommt. Und er ist ein Unbekannter – eine Stimme, die ich noch nie gehört habe.
    Ich nicke. Ein befangenes Schweigen breitet sich zwischen uns aus, nur mein Name schwebt in der Luft.
    Ich versuche uns zurück auf festen Boden zu bringen, indem ich seine frühere Frage beantworte. »Ich suche einen Freund«, sage ich. »Wir waren gestern Abend hier draußen, und er ist nicht wieder mit zurückgekommen.«
    Er atmet durch, als sei er dankbar für den Themenwechsel. »Unten am Vergnügungspark.«
    Ich lege den Kopf schräg. »Woher weißt du das?«
    Er schaut an mir vorbei in die Dunkelheit. Am liebsten würde ich mich umdrehen, weil ich Angst habe, dass mich jemand beobachtet. »Ich konnte die Glocken hören und Schreie.«
    Ich starre ihn an und zögere kurz, bevor ich sage: »Du bist nicht aus Vista«, als wäre es wichtig, das Offensichtliche auszusprechen.
    »Nein.« Er geht nicht darauf ein.
    »Ich habe nicht gedacht, dass hier draußen jemand lebt«, dränge ich. Ich schaue auf die verfallenen Gebäude, die eingestürzten Mauern und eingesunkenen Dächer. So viele dunkle Schatten und Winkel. Dies ist kein Ort, an dem Menschen leben. Menschen leben nicht an den Zwischenorten.
    Nach der Rückkehr waren die Städte die gefährlichsten Orte, die Infektion konnte so leicht in größeren, dichteren Populationen um sich greifen. Im Lauf der Zeit hatten die Menschen aber wieder zusammenfinden müssen. Sie mussten wieder Gemeinschaften bilden, wegen des Güterhandels, der Nahrungsmittel, der Sicherheit.
    Großstädte und kleinere Orte schrumpften, sie zogen ihre Grenzen enger und errichteten Mauern. Damit blieb ziemlich viel Platz zwischen den Ansiedlungen, wo es nichts als Mudo gab. Ein paar Straßen, wie etwa die lange, die von unserer Stadt die Küste hoch zur Dunklen Stadt führt, sind einigermaßen geschützt durch das Meer und die Ruinen auf der einen Seite und den Zaun um den Wald auf der anderen.
    Trotzdem ist Reisen grundsätzlich schwierig, schlimmstenfalls tödlich. Die Siedlungen und Städte scheinen Inseln in einer Welt zu sein, in der fast jeder Angst vor dem Wasser hat.
    Was bedeutet, jemand, der außerhalb des Schutzes einer Stadt oder Siedlung wohnt, ist suspekt.
    Ich bin damit aufgewachsen, daher weiß ich, wie die Realität unserer Welt aussieht: Diejenigen von uns, die Glück haben, leben in Städten, innerhalb des Schutzes der Gesellschaft.
    Aber nicht alle haben so ein Glück. Mancher wird ausgestoßen, weil er Gesetze übertreten oder Regeln nicht befolgt hat. Nicht wenige dieser Leute sind von den Rekrutern desertiert, ihre Namen tauchen auf Listen auf, es wird Kopfgeld auf sie ausgesetzt. Manche von ihnen verstehen sich als Händler, sie plündern in den Ruinen und am Waldrand. Doch nahezu alle sind verzweifelt, und es würde mich interessieren, in welche Kategorie Elias gehört.
    Er reibt sich das Kinn und fasst sich dann in den Nacken. »Ich glaube, ich weiß, wo dein Freund ist«, entgegnet er.
    Mit zusammengekniffenen Augen sehe ich ihn an, ich bin mir nicht sicher, ob ich ihm trauen soll. »Woher weißt du das? Warum bist du hier draußen?«, frage ich. Wer ist er nur?
    Er mustert mich, flüchtig blitzt etwas in seinem Gesicht auf. Angst? Reue? Oder vielleicht nur der Mond, der sich hinter einer Wolke versteckt, bevor er durchbricht? »Ich suche auch jemanden«, sagt er. Seine Stimme ist leise und ruhig.
    »Wen?«, frage ich. Sind denn alle auf der Welt verloren gegangen, suchen wir denn alle?
    Er starrt mich noch eine Weile an, dann schüttelt er schließlich den Kopf. »Ist egal«, murmelt er.
    »Wen?«, dränge ich.
    Er zögert, dann sagt er: »Ich habe dich gerade vor den Ungeweihten gerettet, die übrigens immer noch hinter uns her sind. Wen ich suche, ist nicht wichtig. Ich würde meinen, dass du allein

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