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Das Meer Der Tausend Seelen

Das Meer Der Tausend Seelen

Titel: Das Meer Der Tausend Seelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carrie Ryan , Catrin Frischer
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Es bahnt sich seinen Weg um die Senken und Kurven der alten Achterbahn herum.
    Ich recke den Hals, um zur Bahn hochzuschauen. Bisher habe ich sie immer nur aus der Ferne gesehen, ihre Höcker ragen aus den Ruinen wie der Rücken dieses Schlangenmonsters, von dem man uns in der Schule erzählt hat.
    Wie es wohl damals war, wenn man auf dieser Achterbahn fuhr, wenn man unmittelbar vor der abschüssigen Strecke über die Welt hinter den Zäunen schaute? Was mag wohl erschreckender sein: das Gefühl, einem wird der Boden unter den Füßen weggezogen, oder das Bild von der besten Freundin, die sich mit gebleckten Zähnen und gekrümmten Fingern gegen den Zaun wirft, und die Kakophonie des Stöhnens?
    Ich blicke in die Schatten, die andere Karussells und die alten Gebäude werfen, die demontiert worden sind oder eingestürzt. In der Dunkelheit hat alles unscharfe Umrisse, und ich bekomme Angst vor dem, was sich außerhalb meiner unmittelbaren Reichweite verbergen könnte.
    »Stellt euch das mal vor, all die Leute in der Dunklen Stadt«, sagt Mellie und schaut zu den Sternen hoch. »So viele Möglichkeiten, so viele Männer.« Ihre Stimme klingt wie ein Lied. Einer der Jungs, ein Rotschopf namens Griffin, tritt auf sie zu, nimmt ihre Hände und stimmt ein.
    »Sind wir dir nicht genug?« Er lacht und schwenkt sie immer schneller herum, und sie legt den Kopf noch weiter zurück, sodass sich das Mondlicht über ihren Hals ergießt.
    Ich will wegschauen, es kommt mir vor, als würde ich einen intimen Tanz beobachten, aber ich kann nicht. Mein ganzes Leben lang habe ich Menschen von der Dunklen Stadt reden hören. Obwohl man einen Fußmarsch von über zwei Wochen die Küste entlang auf sich nehmen muss, ist das die nächstgelegene Stadt, eine der letzten befestigten Bastionen aus der Zeit vor der Rückkehr. Die Dunkle Stadt ist der Sitz des Protektorats, der freien konföderierten Regierung. Aber ich habe nie daran gedacht, dort hinzugehen, bin nie auf den Gedanken gekommen, dass ich es je schaffen könnte, die hohen Abgaben für den Aufenthalt dort aufzubringen.
    »In diesen alten Gebäuden zu wohnen! Könnt ihr euch das vorstellen?«, sagt ein anderes Mädchen. Sie geht zu Mellie und Griffin. »Ich habe gehört, einige von ihnen haben vierzig Stockwerke oder noch mehr.« Sie senkt den Kopf, schaut Griffin unter halb geschlossenen Lidern von unten an – der Mellie prompt stehen lässt und dieses neue Mädchen mit einem breiten Grinsen in seine Arme schließt. Ihr Lachen hallt fast zu laut in der Dunkelheit.
    Mir ist nur allzu bewusst, dass Catcher neben mir steht, und sicher sehe ich auch genauso unbeholfen aus, wie ich mich fühle. Mellie wirkt so anmutig, so frei und schön. Ob Catcher auch so tanzen möchte wie die anderen? Wünscht er sich vielleicht, ich wäre mehr wie die anderen Mädchen? Ich kann mir nicht mal vorstellen, wie es sich anfühlen würde, mit ausgebreiteten Armen in der Nacht herumzuwirbeln, ohne mich um dunkle Ecken zu sorgen oder Mudo und Tod. Ich schaue hinüber zu Cira, sie hat ihren Kopf an einen von Catchers Freunden gelehnt, sie scheinen ihre Umgebung nicht wahrzunehmen.
    Ich verschränke die Arme vor der Brust und halte mich an meinen Ellenbogen fest; ich habe eine Gänsehaut.
    Wie muss es hier gewesen sein zur Zeit der Rückkehr? Ich kann nicht aufhören, daran zu denken. Die Panik. Das Durcheinander. Die Körper, die sich an einem Ort dicht an dicht drängten. Die Unfähigkeit zu flüchten. Das Stöhnen.
    Das ständige Stöhnen.
    Die Gruppe bewegt sich näher an die Achterbahn heran, die Stimmen ein Summen von Gerüchten über die Dunkle Stadt, von Plänen, Vista zu verlassen. Ich warte darauf, dass Catcher mit ihnen geht, dass ich allein hinterherkommen kann. Aber er lässt sie gehen, bis schließlich nur noch wir beide in ihrem Echo zurückbleiben.
    Er streicht mir mit der Hand über den Arm. Ich schlucke eine Million Wörter herunter. Die Luft vermischt sich mit dem Duft seines Körpers, sie füllt meinen Kopf und verdrängt die Angst davor, mich außerhalb der Barriere zu befinden. Mellies Unbekümmertheit hat etwas, das in mir den Wunsch erweckt, ebenfalls frei zu sein.
    Ich will so sein wie sie, will meine ständige Sorge vergessen und um die alten Karussells herumtanzen, mich mit den verblassten Tieren auf dem Kinderkarussell im Kreis drehen oder in den angestoßenen Gondeln herumwirbeln.
    Aber ich tue es nicht. Ich stehe nur da und spüre Catchers Fingerspitzen auf meiner Haut. Es ist,

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