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Das Meer Der Tausend Seelen

Das Meer Der Tausend Seelen

Titel: Das Meer Der Tausend Seelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carrie Ryan , Catrin Frischer
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Atemgeräusche. Auf unserer Seite der Brücke machen wir Halt und legen Cira auf den Boden. Sie starrt mit hohlem Blick zu uns auf. Elias sieht sich weiterhin in der Gegend um, andauernd schaut er über seine Schulter. Alles ist dunkel, Schatten verbergen Schatten, die Bäume über uns verdecken jeden Schimmer von Mond oder Sternen. Um uns herum donnert der Wasserfall.
    Jede Baumsilhouette oder jedes zuckende Blatt bringt mein Herz zum Stolpern. Meine Augen spielen mir Streiche, indem sie Formen in die Schatten zaubern, die nie Gestalt annehmen.
    Catcher überquert die Brücke über den Wasserfall und zögert nur einen Augenblick vor dem Tor auf der anderen Seite, bevor er in den Wald vorstößt. Ich bleibe auf unserer Seite des Flusses stehen, die Finger in den ans Wasser grenzenden Zaun geflochten.
    Als ich Catcher nicht mehr zwischen den Bäumen ausmachen kann, drehe ich mich zu Elias um, der scharfe Maschendraht des Zaunes ist kühl an meinem Rücken. Mir ist in seiner Gegenwart unbehaglich – nach diesem Abend, nachdem wir uns beinahe geküsst hätten. Allein der Gedanke daran bringt meine Haut zum Glühen.
    Das Schweigen zwischen uns, das nur vom Donnern des Wasserfalls gestört wird, ist schwer wie eine Wolke vor dem Regenguss. Ich möchte mich gern noch einmal entschuldigen, aber ich bin immer noch wütend über die Art, mit der er das alles anscheinend so leicht abgestreift hat. Schließlich entscheide ich mich dafür, das Sicherste zu sagen: »Danke.« Ich deute auf Cira, die mit geschlossenen Augen an einem Baum lehnt. Mit einer Handbewegung bremst er mich.
    Ich wünschte, ich könnte das Wort zurücknehmen, jede Sekunde, die ich Elias je getraut oder die ich an ihn gedacht habe. Ich will weggehen, aber er packt mich und hält mich fest. Ich öffne den Mund, aber er legt seine Hand darauf.
    »Pst«, flüstert er mir ins Ohr. Und obwohl die Nacht heiß ist, zittere ich, als sein Atem mich berührt.
    Er legt den Kopf schräg und lauscht. Ich meine, etwas zu hören, nur ein ganz leises Geräusch, das ich nicht richtig zuordnen kann, aber er erstarrt. Ich spüre, wie seine Hand langsam zu seinem Messer geht.
    Ich tue es ihm nach. Jetzt nehme ich ringsum in der Nacht alles wahr. Vorher war hier nur Dunkelheit, das Donnern des Wasserfalls und Elias’ Berührung, aber jetzt fallen mir die Feinheiten dahinter auf: Ciras flaches Ein- und Ausatmen, der schwache Geruch ihres Blutes in der Luft, die weiche Brise auf meinem Gesicht, das Gewicht des Messers in meiner Hand.
    Ein Stück den Pfad hinunter raschelt ein Busch, und ich erstarre. Elias geht vor, ich folge ihm, sodass ich Cira noch bewachen kann. Da, die Andeutung einer Bewegung und ein langes, tiefes Stöhnen. Ich kauere mich hin, mein Herz hämmert, und jeder andere Gedanke, jedes Gefühl ist ausgelöscht. Ich greife nach Ciras Arm, versuche ihn mir über die Schulter zu legen und ihr beim Aufstehen zu helfen.
    Genau da stolpert mit ungelenken Schritten eine Mudo ins Blickfeld, ein Fuß ist verdreht, und aus ihrem Knöchel ragt ein weiß schimmernder Knochen hervor. Langes blondes Haar hängt ihr strähnig ins Gesicht, ihre Schultern sind nackt. Im Mondschein kann ich noch die Sommersprossen auf ihrer Brust erkennen und die ausgerissenen Fingernägel an ihrer rechten Hand, ihr kleiner Finger hängt nur noch an Sehnen und ein paar Hautfetzen.
    Sie stöhnt wieder, und beim Heranschlurfen streckt sie die Arme nach uns aus. Panik rast mir durch die Adern. Ich muss Cira mitnehmen, ich muss über die Brücke. Aber Cira ist eine tote Last, ich kann sie nicht aufwecken. Ich will um Hilfe rufen, will schreien, beherrsche mich jedoch.
    »Cira, Süße, komm doch, wir müssen gehen«, bettele ich, packe ihr Gesicht mit beiden Händen und versuche sie zu wecken.
    »Nein«, murmelt sie. »Schlafen.«
    »Cira!« Ich höre die Panik in meiner Stimme, den schrillen Ton.
    »Schon gut«, sagt Elias ruhig. Er geht auf die Mudo zu, mit langsamen, vorsichtigen Schritten. »Sie ist eine von unseren.«
    Ich schlucke die aufsteigende Galle wieder hinunter, als er sich der Frau nähert. »Töte sie einfach, Elias«, flehe ich, aber er geht im Kreis um sie herum. Sie dreht sich und greift nach ihm, stolpert, strauchelt und kommt wieder auf die Füße, ihr Fußgelenk knirscht, als sie es noch weiter verdreht.
    Mit gezücktem Messer entferne ich mich von Cira. »Was machst du da?«, brülle ich Elias an. »Töte es!«
    Aber das tut er nicht. Er lässt sich von dem Ding berühren,

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