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Das Meer der Zeit: Roman (German Edition)

Das Meer der Zeit: Roman (German Edition)

Titel: Das Meer der Zeit: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beatriz Williams
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mit einer sanften Wildheit, die ich nicht ganz verstand, zum Beispiel, wenn der dichte Verkehr auf der Schnellstraße ihn bis nach Sonnenuntergang aufgehalten hatte oder wenn ich beim Nachhausekommen nicht in Hörweite gewesen war, so dass er mich hatte suchen müssen. Dann schwang ein leicht panischer Unterton in seiner Stimme mit, und seine Arme zerdrückten mich fast, ehe sie mich sanft umfingen. Er küsste mich vibrierend und bebend vor Sehnsucht, und ich schmiegte mich an ihn, um ihm zu zeigen, dass es in Ordnung war und dass ich ihn verstand. Lass dich fallen, forderte ich ihn anfangs auf. Ich bin nicht aus Zucker. Später, als ich allmählich ahnte, was in ihm vorging, flüsterte ich ihm stattdessen zu, dass alles gut sei, dass er sich auf mich verlassen könne und dass ich niemals fortgehen würde. Ich sei immer für ihn da.
    Danach lag er, eine wundervolle tonnenschwere Last, lange auf mir. Er sprach kein Wort, ließ den Kopf neben meinen sinken und vergrub die Hände in mein Haar. Die Augen hatte er fest zugekniffen, und er sah aus, als schliefe er, obwohl ich wusste, dass das nicht stimmte. »Glücklich oder traurig?«, fragte ich ihn einmal und fuhr dabei mit den Fingern seine Wirbelsäule entlang. »Glücklich, du Dummerchen«, murmelte er, weil er natürlich wusste, dass ich das hören wollte.
    Doch ganz gleich, in welcher Stimmung er auch war, genossen wir jede Nacht den Luxus, zusammen einzuschlafen, Haut an Haut, ein ans Unheimliche grenzende Gefühl der Einigkeit. Wir verschmolzen nahtlos miteinander und waren unzertrennlich, Verbündete gegen ein willkürliches Universum.
    Und dennoch wachte ich jeden Morgen allein in unserem Bett auf. Wenn er nach Manhattan fuhr, war das verständlich, denn schließlich wollte er abends rechtzeitig zurück sein und musste deshalb bei Morgengrauen aufbrechen. Hin und wieder versuchte ich früher wach zu werden und ihn abzupassen, ehe er sich davonschleichen konnte. Doch es gelang mir nie. Er brauchte einfach weniger Schlaf als ich.
    Nun küsste er mich, und seine warmen, köstlichen, trägen Küsse fachten eine Flamme in mir an, so dass es mich alle Kraft kostete, ihm meine Lippen zu entziehen und meine Hand gegen seine Brust zu stemmen. »Bitte«, flehte ich, »weck mich morgen früh auf. Nur ein einziges Mal.«
    »Ich kann nicht. Du siehst immer so friedlich aus. Ich habe mit dem Gedanken gespielt, glaube mir, aber ich bringe es einfach nicht über mich.«
    »Und wenn das Haus brennen würde?«
    »Im Notfall natürlich schon.«
    »Dann betrachte es als Notfall.«
    Ich spürte sein Lachen auf der Haut. »Den Notfall, dass du noch nie das Vergnügen hattest, morgens meinen duftenden Atem erleben zu dürfen?«
    »Der unsterbliche Julian Ashford hat morgens keinen Mundgeruch.«
    »Au contraire, Mrs. Ashford.« So nannte er mich immer wieder gerne, um sich an meinem erschrockenen Gesichtsausdruck zu weiden. Wenn er mich wirklich ärgern wollte, sagte er Lady Chesterton zu mir. »Du hast wirklich ausgesprochen seltsame Vorstellungen von mir.«
    »Bitte, Julian«, versuchte ich es wieder. »Ich verspreche dir, dass du es nicht bereuen wirst.«
    Das ließ ihn innehalten. »Wie genau willst du das anstellen?«
    Ich beugte mich vor und flüsterte ihm ins Ohr: »Ich mache dir Frühstück.«
    »Frühstück?« Seine Miene erhellte sich. Das war offenbar noch besser als das, womit er gerechnet hatte.
    »O ja«, versicherte ich ihm. »Leckere Eier.« Ich küsste ihn auf den Mundwinkel. »Und Speck.« Ein Knabbern an seinem Hals. »Und Würstchen. Und Toast. Heißer, von Butter triefender Toast.«
    Er schloss die Augen. »Sirene. Aber morgen geht es nicht. Ich muss in die Stadt.«
    »Schon wieder? Du warst diese Woche doch schon zweimal dort«, beschwerte ich mich.
    »Tut mir leid, Liebling.« Er rollte sich auf die Seite und strich mir das Haar aus dem Gesicht. »Dieses idiotische Theater mit der Börsenaufsicht. In der Hölle sollen sie alle schmoren. Der Fonds ist liquide und zur Auflösung bereit.«
    »Ja, ich verstehe, und ich will auch nicht klammern.« Ich erschauderte. »Ich fühle mich nur, als hieltest du mich hier gefangen. Allmählich fällt mir die Decke auf den Kopf.«
    »Ich weiß, tut mir leid«, wiederholte er. »Wir sollten die Probleme mit diesen lästigen Beamten in einem Monat aus der Welt geschafft haben. Dann fahre ich mit dir weg. Mein Gott, ich habe schon Ängste genug ausgestanden, weil du hier ganz allein bist …«
    »Nur tagsüber. Da kann mir

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