Das Meer der Zeit: Roman (German Edition)
befreit. Und du wusstest es genau. Das habe ich an deinem Gesichtsausdruck erkannt, an deiner Art, mich zu berühren, und an deinen Worten. Und es war so wundervoll, Julian. Als ob ich in diesem Moment ein anderer Mensch geworden wäre.«
»Kate.« Verzweiflung schwang in seiner Stimme mit.
»Es tut mir so leid, liebster Julian. Ich habe schreckliche Dinge gesagt, aber ich habe es nicht so gemeint. Du …«
»Nicht«, unterbrach er mich und starrte auf die Tasten. »Nicht. Ich bin es, der dich um Verzeihung anflehen sollte.« Er seufzte tief. »Ich habe dich behandelt … dich benutzt …« Natürlich fehlten ihm die Worte. Er verfügte nicht über das Vokabular, um es mir zu beschreiben.
»Schau«, erwiderte ich und stützte ein Knie neben sein Bein, »vielleicht hast du es ja nicht bemerkt, aber es hat mir gefallen, Julian. Ich habe dich gewollt, genau so, wild und wunderschön. Es war … befreiend. Mach es irgendwann wieder.«
Er reagierte nicht, und es war zu dunkel im Raum, um seine Miene zu deuten.
»Außerdem«, fuhr ich fort, »habe ich dich dazu provoziert. Ich habe um mich geschlagen wie ein Kind, anstatt die Angelegenheit vernünftig zu besprechen. Ich habe genau das Gegenteil von dem bewiesen, was ich beweisen wollte. Auch wenn ich nur ungern eine Debatte verliere, ist es diesmal passiert. Ja, ich habe mich wegen Florence Hamilton aufgeführt wie eine eifersüchtige Idiotin. Ja, mir ist klar, dass du mir meine Vergangenheit verziehen hast. Oder vielleicht hast du das ja nicht. Möglicherweise hat sie sich ja wie ein Geschwür in deinem britischen Gehirn eingenistet und wird mit aller Macht ignoriert. Jedenfalls mea culpa. Ich habe überreagiert.«
»Ich würde mich nur freuen«, sagte er, und ich bemerkte, dass er noch immer verärgert war, »wenn du mir ausnahmsweise einmal vertrauen würdest, Kate. Mein Verhalten hat seine Gründe. Ich tue das nicht aus reiner Willkür.«
»Wenn du mir diese Gründe verraten könntest, würden wir jetzt nicht streiten. Du bist derjenige, der mir nicht vertraut.«
»Allerdings aus unterschiedlichen Motiven. Ich weiß nämlich zufällig, dass es besser und lebenswichtig für dich ist, von bestimmten Dingen nichts zu wissen.«
»Ach, bitte«, stöhnte ich. »Julian, entweder leidest du an Verfolgungswahn oder hängst der albernen viktorianischen Auffassung an, dass Frauen wie Kinder sind, die man nicht ernst zu nehmen braucht …«
Ein entnervtes Auflachen. »Köstlich. Hast du das an der Universität gelernt? In irgendeinem lächerlichen Geschichtsseminar?«
Ich betrachtete meine Finger. »Zugegeben«, räumte ich ein. »Aber jedenfalls kann es nicht so weitergehen.«
Endlich drehte er sich, bleich und entsetzt, zu mir um. Das goldene Haar fiel ihm in die Stirn. »Was meinst du damit?«
Ich nahm meinen ganzen Mut zusammen. »Dass ich kurz davor bin, meine Sachen zu packen und zurück nach Lymington zu fahren, bis Gras über das Ganze gewachsen ist.«
Er zuckte zusammen, als hätte er ein unter Strom stehendes Kabel angefasst. »Du verlässt mich?«
»Ich verlasse nicht dich, das würde ich niemals tun. Doch ich muss hier weg.«
Meine Worte schienen im Raum widerzuhallen, und ich bemerkte, dass er mich fassungslos anstarrte. »Kate, das wirst du nicht tun«, stieß er hervor. »Das kannst du nicht.«
»Ich kann nicht bleiben, Julian. Denn ich ertrage es nicht, dich so zu erleben. Belastet und unter Druck. Ich will den Julian, der mir vertraut und der mir sein Herz öffnet.« Der Kloß, der mir in der Kehle aufstieg, erschwerte mir das Sprechen. »Den Julian, der lacht, wenn er mich liebt, und der mir nichts verheimlicht.«
Er machte den Mund auf und wieder zu.
»Siehst du, genau das habe ich gemeint. Du hast Geheimnisse vor mir. Ich frage mich ständig, wann du mir endlich alles verraten und mir völlig vertrauen wirst. Denn ich habe mich dir völlig ausgeliefert, Julian. Du könntest mich mit einem einzigen Atemzug vernichten.«
»O Gott, Kate.« Mit einer blitzartigen Bewegung schwang er das Bein über die Klavierbank, so dass er rittlings darauf saß, und zerdrückte mich fast mit seiner Umarmung. »Lieber würde ich mich umbringen.«
»Ich bin ehrgeizig, Julian«, entgegnete ich, das Gesicht an seiner Schulter. »Ich kann nicht genug bekommen. Ich will dich, stelle Forderungen an dich. Lass mich diese Sache mit dir teilen, was immer es auch sein mag. Lass mich dir helfen.«
»Kate, ich …«
»Nein, Moment noch. Du vertraust mir in allen
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