Das Meer der Zeit: Roman (German Edition)
Kriegszeit man aufschlägt, man hat immer vor sich, wie du sie anschmachtest.«
»Zum Teufel mit diesem Gedicht«, zischte er.
»Julian und Florence, eine tragische Romanze aus dem Ersten Weltkrieg. Mich wundert, dass noch niemand auf die Idee gekommen ist, einen Film darüber zu drehen. Hast du eine Vorstellung, wie ärgerlich das ist?«
»Das sollte es nicht sein. Du kennst die Wahrheit.«
»Nun, tut mir leid, es ist aber trotzdem ärgerlich. Allerdings kriege ich keine eifersüchtigen Tobsuchtsanfälle. Das stimmt einfach nicht, und es ist unfair, so etwas zu behaupten.« Ich sah ihn finster an. »Eigentlich ist es sogar eher Projektion, denn du bist derjenige, der den armen Teufel, der mir die Jungfräulichkeit geraubt hat, vermutlich abknallen würde, wenn ich dir seinen Namen verraten würde.«
»Sei nicht albern«, knurrte er und riss sich mit einer unwirschen Bewegung die Fliege vom Hals. »Ich würde die Sache mit bloßen Händen erledigen.«
»Ach herrje! Und ich soll hier die Eifersüchtige sein? Jedenfalls ist Arthur gar nicht das eigentliche Thema, sondern eher ein Symptom dieser … deiner Einstellung als solcher. Nämlich, dass du mir nicht zutraust, auf mich selbst aufzupassen.«
»Unsinn. Ich habe nur vernünftige Vorsichtsmaßnahmen getroffen …«
»Vernünftig? Ich kann ohne Leibwächter keinen Schritt mehr vor die Tür machen. Du behandelst mich wie ein Püppchen, Julian. Du verkleidest mich, behängst mich mit Schmuck und stellst mich unter eine Glaskuppel. Und dann holst du mich raus, um mit mir zu spielen, wenn du in der richtigen Stimmung bist, oder um mich deinen reichen Freunden vorzuzeigen …«
»Mit dir zu spielen! «
»Richtig. Es ist so erniedrigend. Außerdem erzählst du mir nichts. Ich weiß, dass du mir Dinge aus deiner Vergangenheit verschweigst.«
»Ich behandle dich nicht wie ein Püppchen«, entgegnete er mit gepresster Stimme.
»Doch, das tust du. Schau mich nur an. Dieses Kleid. Und diese alberne Kette!«
Wie amüsant, merkte ein Teil meines Gehirns an. Jetzt dreht sie durch.
»Ich bin ein Ausstellungsstück, Julian! So, als hätte ich keinen eigenen Verstand, ja, nicht einmal eine Seele. Wie eine der wohlerzogenen Debütantinnen, mit denen du früher geflirtet hast. Wahrscheinlich wünschst du dir, dass ich so eine wäre.«
»Kate, was ist nur los mit dir? Du redest absoluten Unsinn!« Er durchquerte das Zimmer in Richtung Flur mit den Kleiderschränken, wo er sich den Frack vom Leibe riss und ihn schwungvoll auf einen der Bügel aus poliertem Holz beförderte. »Debütantinnen«, murmelte er verächtlich.
»Ich rede keinen Unsinn. Es ist die Wahrheit. So empfinde ich es.«
»Nun, dann irrst du dich. Ein Püppchen, Herrgott. Wenn das nicht genau das wäre, was ich nicht …«
»Sag mir nicht, dass ich mich irre! Du mit all deinen Lügen und Geheimnissen …«
»Lügen?«, brüllte er und wirbelte herum.
»Du hast selbst zugegeben, dass du, was die Gründe für unseren Aufenthalt in Lymington anging, gelogen hast. Außerdem kann man durch Verschweigen auch die Unwahrheit sagen, und der Himmel weiß, dass du ein Meister in dieser Kunst bist. Du und deine verdammten Schachteln! Dein in Schuhkartons sortiertes Hirn.« Ich wies auf seinen Kopf. »Ständig warte ich darauf, dass die nächste Bombe platzt. Vielleicht wohnt Flora ja gleich um die Ecke. Könnte es sein, dass du deshalb morgens nie bei mir im Bett bist. Möglicherweise liegst du ja dann in ihrem.«
Toll gemacht, lobte mein Verstand.
»Bist du jetzt völlig übergeschnappt?«, brach es aus ihm heraus. »Wie Flora in ihren schlimmsten Zeiten, was ich, wie Gott weiß …«
»Nun, allmählich verstehe ich sie! Mein Gott, die Vorstellung, mit dir verheiratet und dann in einem goldenen Käfig eingesperrt zu sein. Nichts zu tun zu haben, als sich hin und wieder auf einen guten Fick zu freuen!«
Na, Kate, du hast im Leben schon ziemlich viel Mist geredet, aber das bricht alle Rekorde.
»Ein guter Fick«, wiederholte er. »Mehr bin ich also nicht für dich? Ein guter Fick?«
Am liebsten hätte ich mich von ihm, seinem vorwurfsvollen Ton und dem eigenartigen Funkeln in seinen Augen abgewandt, aber so feige konnte ich nicht sein. »Ich bin keine Adlige, Julian«, schleuderte ich ihm stattdessen stolz entgegen. »Ich bin kein unschuldiges Mädchen und nicht einmal eine gottverdammte allseits verehrte Friedensaktivistin. Ich bin Amerikanerin, modern, lebendig, unabhängig und … und vulgär. Ich
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