Das Meer der Zeit: Roman (German Edition)
zurückdrängen, die sich in meinen Augenwinkeln sammelten. »Aus irgendeinem … unerklärlichen Grund wirst du dich in mich verlieben und ich mich in dich. Und ich habe es dir nie gesagt. Ich habe dir nie gesagt, dass ich dich liebe, weil ich befürchtet habe, dass es Unglück bringen könnte. Denn deine Liebe war … zu schön, um wahr zu sein. Das war sehr dumm von mir, weil du in dieser Hinsicht immer sehr großzügig warst.« Ich drückte mir die Daumen auf die Augen und nahm all meinen Mut zusammen. »Und deshalb sage ich es dir jetzt«, fuhr ich mit heiserer Stimme fort. »Ich offenbare dir alles. Ich liebe den Klang deiner Stimme und wie du mir abends auf dem Klavier vorspielst. Ich liebe die kleinen Gedichte, die du mir morgens auf dem Kopfkissen hinterlässt. Ich liebe deine Intelligenz und deine Güte und dass du an ein und demselben Tag einen Idioten an der Wall Street zur Schnecke machen und in der Oper weinen kannst. Ich liebe die alten Mokassins, die du zu Hause trägst, wenn wir allein sind. Ich liebe es, wie du mich nachts in den Armen hältst. Ich liebe deinen Gesichtsausdruck, wenn du … wenn wir …« Meine Stimme erstarb, und ich drehte mich zur Wand um, wo uns ein kitschiges Madonnenbild von der ausgebleichten Tapete gütig entgegenblickte. »Ich weiß, dass ich jetzt für dich eine Fremde bin. Aber du bedeutest mir alles. Du bist mein Leben. Allein in deiner Nähe zu sein, auch wenn du mich nicht kennst, ist für mich der Himmel.« Voller Angst lauschte ich seinem Schweigen und fand den Mut nicht, den Blick zu heben. »Glaubst du mir immer noch?«, fragte ich.
»Ich … ich weiß nicht. Wahrscheinlich kann ich nicht anders. Ich habe ja auch den Rest geglaubt.« Er schüttelte den Kopf und starrte auf seine Hände. »Ich habe gegen die völlig absurde Eifersucht auf deinen unbekannten Ehemann angekämpft. Den größten Glückspilz der Welt. Und dabei bin ich es selbst?« Er schaute auf. »Ich?«
Er sah mich aus großen Augen mit hochgezogenen Augenbrauen an. Sein Blick war beinahe flehend. Nachdem ich ihm einen Moment standgehalten hatte, erhob ich mich und ging zu dem Haken neben der Tür, wo mein Mantel hing. Ich holte mein BlackBerry aus der Tasche, wo ich es auf der anstrengenden Reise durch England, über den Ärmelkanal nach Frankreich und mit der Bahn nach Amiens eine Woche lang sicher aufbewahrt hatte. Als ich es einschaltete, klang die Startmelodie im Kerzenschein seltsam unpassend. »Darf ich dir etwas zeigen?«, fragte ich leise und reichte es ihm. »Hier. Das ist mein Telefon.«
Er starrte auf den Gegenstand in seiner Hand. »Telefon?«, wiederholte er benommen.
»Ja. Ich habe dir doch gestern Nacht von den Dingern erzählt, erinnerst du dich? Man kann sie mit sich herumtragen und auch Fotos damit machen.« Von Julian erstaunt beobachtet, klickte ich mich durch die Menüs. »Schau, das sind wir im letzten Sommer beim Segeln. Der Mann am Yachthafen hat es aufgenommen.« Und da standen wir an Deck von Julians Kutter. Ich hatte den Arm um seine Taille geschlungen, seiner lag um meine Taille. Sein lachendes Gesicht war mir halb zugewandt, als hätte er mich gerade geküsst; er ließ sich nur selten eine Gelegenheit dazu entgehen. Ich hatte ein trägerloses Strandkleid an. Meine Haut leuchtete in der Sonne, und das Lächeln auf meinem Gesicht war so breit und glückselig, dass ich beinahe geweint hätte. Die glückliche Kate. Die ahnungslose Kate.
Das Telefon zitterte in seinen Händen. »Entschuldige«, sagte ich und wollte es ihm abnehmen. »Das war zu plötzlich. Ich wollte nicht …«
»Nein«, flüsterte er und hielt es fest. »Du siehst wunderschön aus.«
»Ich war glücklich. So glücklich.« Meine Stimme bebte.
»Gibt es noch mehr Fotos?«
»Äh … ja.« Ich streckte die Hand aus und klickte sie für ihn an. »Das bist du, wie du vor dem Ferienhaus im Gras liegst. Ich glaube, ich habe dich bei einem Nickerchen ertappt. Ach, herrje, und das ist der Strand. Das brauchst du nicht zu sehen. Der dumme Bikini. Tut mir leid, alle Mädchen tragen so etwas.«
»Gütiger Himmel.«
»Ich wünschte, ich könnte dir deine … deine Nachrichten zeigen. Du warst immer so komisch und liebevoll und …«
»Du sprichst in der Vergangenheit«, unterbrach er mich und blickte auf.
»Ich habe dir doch erzählt, dass ich Witwe bin.«
»Ich bin … tot?«
»Ja.« Schwer ließ ich mich aufs Bett fallen. »Deshalb bin ich ja hier. Um zu verhindern, dass du morgen an dieser
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