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Das Meer der Zeit: Roman (German Edition)

Das Meer der Zeit: Roman (German Edition)

Titel: Das Meer der Zeit: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beatriz Williams
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das?«
    »Mitternächtlicher oder frühmorgendlicher Gottesdienst in der katholischen Kirche.«
    »Julian ist katholisch?«
    »Wussten Sie das nicht?«
    »Nein.« Wieder eine ungeöffnete Schachtel.
    Ich betrachtete Hollander eine Weile. Warum ausgerechnet er? Wie konnte dieser ganz gewöhnliche Sterbliche über eine derart unfassbare Fähigkeit verfügen?
    »Professor«, sagte ich schließlich und griff nach seiner schlaff auf dem Tisch liegenden Hand, »wir haben noch zwei Stunden bis zur Landung. Sie müssen mir alles erzählen, was Sie wissen. Nur für alle Fälle.«

    Southfield lag neunzig Kilometer südwestlich von Manchester, und während jeder kostbare Meter unter den Reifen unseres Mietwagens davonglitt, fiel es mir immer schwerer, die Panik zu unterdrücken. Julians Maschine war vermutlich vor zwei Stunden gelandet. Also genug Zeit für Geoff und Arthur, um ihn zu Florence Hamiltons Grab zu schleppen. Und auch für alle möglichen anderen Szenarien, die ich mir lieber nicht ausmalen wollte.
    Ich zwang mich, mich auf andere Dinge zu konzentrieren. Zum Beispiel, wie man auf der richtigen Straßenseite blieb, bei lebendigem Leibe einen Kreisverkehr überwand und Stundenkilometer in Meilen umrechnete.
    Nicht, dass das eine große Rolle gespielt hätte. Selbst wenn ich das Gaspedal der kleinen Blechdose von Fiat voll durchtrat, kamen wir nicht viel schneller voran als die Mähdrescher, die zu beiden Seiten der Straße die Felder abernteten.
    »Ihr Mann ist Milliardär«, schimpfte Hollander. »Konnten Sie denn kein besseres Auto mieten?«
    »Sie hatten kein anderes mehr da. Wir sind spät gelandet. Die Passagiere der Morgenmaschinen hatten uns die guten schon weggeschnappt. Außerdem«, fügte ich hinzu und schaltete zurück in den dritten Gang, »sind Sie doch hier der Ökofreak und Marxist. Ich persönlich bevorzuge Maseratis.«
    Ich riss Witze, hatte jedoch in Wirklichkeit eine Todesangst. Jede verlorene Sekunde brachte Julian näher an sein Schicksal – und entfernte ihn womöglich weiter von mir. Ich wollte nicht zurück ins Jahr 1916, um ihn zu retten, sondern rechtzeitig ankommen und hier mit ihm zusammen sein.
    Anders als viele große englische Landgüter war Southfield nicht während der langen Zeit der neunzigprozentigen Steuerbelastung in Staatsbesitz übergegangen. Die Familie Ashford verbrachte noch immer den Großteil des Jahres hier, zwar nicht so stilvoll wie zu Julians Tagen mit Fuchsjagden, Bällen und elf festangestellten Gärtnern, aber dennoch als regelmäßige Bewohner. Das Haus war der Öffentlichkeit nicht zugänglich. Was ein Problem bedeutete, da die Hinweisschilder an der Straße fehlten, die uns den richtigen Weg gezeigt hätten.
    Aber wenigstens hatte ich Hollander, der während der Recherchen für sein Buch einige Male hier gewesen war. Da die Biographie ein ausgesprochen positives Bild von Julian zeichnete, hatte die Familie ihn mit offenen Armen aufgenommen, ihm Unterlagen zugänglich gemacht und ihm das Anwesen gezeigt. »Der Friedhof befindet sich ein wenig abseits«, erklärte er mir. »Man muss die Stelle kennen.«
    »Geht das? Können wir einfach über das Grundstück zum Friedhof spazieren?«
    »Das Recht, sich frei zu bewegen, wird hier heftig verteidigt. Außerdem bemerkt es ohnehin niemand.« Hollander zuckte mit den Schultern. »Das Haus ist gute anderthalb Kilometer entfernt. Momentan wohnt nur die alte Mutter dort. Ihr Sohn verbringt seine Zeit lieber damit, in London Models durchzuvögeln, wie man sagt.« Sein Ton klang nicht unbedingt missbilligend.
    »Und dieser Sohn ist was? Julians Großneffe?«
    »Über drei Ecken. Hier ist die Abzweigung.« Er wies auf einen schmalen Weg, der nach links abging.
    »Wirklich?« Ich lenkte den störrischen Fiat um die Kurve.
    »Das ist nicht die eigentliche Auffahrt, nur einer der vielen Zufahrtswege zum Grundstück.«
    »Ach herrje«, murmelte ich, während ich darauf achtete, dass der Wagen nicht in einem der gewaltigen Schlaglöcher stecken blieb. »Sie kennen sich ja ausgezeichnet aus.«
    »Mein liebes Mädchen«, sagte er, »ich habe den Großteil meines Lebens damit verbracht, Ihren Mann und seine Zeitgenossen zu erforschen.«
    Vor mir erhob sich ein Hain aus noch üppig grünen Bäumen, die sich an einen Abhang drängten. Als einige Regentropfen auf die Windschutzscheibe fielen, betätigte ich den Scheibenwischer. »Hoffentlich gibt es jetzt kein Unwetter«, sagte ich.
    So schnell ich es trotz Schlamm und Schlaglöchern

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