Das Meer der Zeit: Roman (German Edition)
büßen!
Voller Tatendrang sprang ich aus dem Bett und ging ins Bad. Es war schlicht, weiß und modern ausgestattet und wurde vom Licht der Morgensonne durchflutet. Neben der großen tiefen Wanne gab es auch noch eine separate Duschkabine. Julian hatte meine Tasche und meine Laptoptasche, beides ungeöffnet, nach oben gebracht. Ich nahm den Kulturbeutel heraus, putzte mir die Zähne und duschte lang und heiß.
Gestern beim Packen war ich offenbar nicht ganz klar im Kopf gewesen. Stirnrunzelnd betrachtete ich den Inhalt meiner Tasche – drei ärmellose T-Shirts, ein Pulli, meine liebste Yogahose, zwei Unterhosen und vier Paar Socken. Ich würde entweder einkaufen gehen oder Julian bitten müssen, mir etwas aus meiner Wohnung mitzubringen.
Einkaufen. Auf jeden Fall.
Ich zog mich an, ging nach unten und machte mir in der Küche eine Schale mit Frühstücksflocken zurecht. Auf der Arbeitsfläche aus Marmor hatte Julian mir einen zweiten Zettel mit dem Passwort für seinen Computer und dem Code der Alarmanlage hinterlassen. »Ich vermisse Dich schon jetzt«, stand da am Schluss.
Ich nahm die Frühstücksflocken mit in die Bibliothek und schaltete nachdenklich kauend den Computer ein und wartete, während das System hochfuhr. Ich würde meinen Eltern Bescheid geben müssen, bevor sie vielleicht noch im Büro anriefen und es auf diese Weise erfuhren. Wie sollte ich anfangen? Liebe Mom, lieber Dad, ich bin gerade bei Sterling Bates wegen Insiderhandels rausgeflogen. Bin nach Connecticut gezogen, um mit Julian Laurence in Sünde zu leben. Einen schönen Tag wünsch ich Euch! Liebe Grüße, Kate.
Sie würden vor Freude Luftsprünge machen.
Nachdem es mir gelungen war, ein Schreiben zu verfassen, das die Wahrheit einigermaßen wiedergab, wandte ich mich einer erfreulicheren Tätigkeit zu, nämlich die Einkaufsmöglichkeiten in einem Dreißig-Kilometer-Radius rund um Lymington zu recherchieren.
Bevor ich aufbrach, griff ich zu Julians Telefon und rief seine Mobilfunknummer an.
Er meldete sich sofort. »Guten Morgen, Liebling. Gut geschlafen?«
»Ich wollte dir nur sagen, dass du für die Bemerkung über das Schnarchen büßen wirst. Na warte.«
»Es waren sehr elegante kleine Schnarcher. Wirklich charmant.«
»Okay. Es nützt dir aber nichts.«
Er lachte.
»Und deshalb mache ich Folgendes«, fuhr ich fort. »Ich werde dich heute Nacht verführen.«
»Ach, wirklich?«
»Du hast keine Chance, Julian Laurence. Nicht die geringste.«
»Glaubst du?«
»Denn ich ramme mir lieber einen Pfahl durchs Herz, als noch eine Nacht in deinem Bett zu verbringen, ohne mit dir zu schlafen. Natürlich ist mir klar, dass es dir ein Leichtes ist, mir zu widerstehen …«
»Das liegt nur daran, dass ich so lange in der Armee war. Disziplin, Liebling, das Ertragen unvorstellbarer körperlicher Strapazen …«
»… aber nicht einmal du wirst dich gegen das wehren können, was ich heute Nacht mit dir vorhabe …«
»… das heißt nicht, dass ich mich nicht leidenschaftlich nach dir sehne …«
»… denn ich werde mit der Zunge über jeden Zentimeter deines Körpers fahren, jeden wundervollen Zentimeter, bis du um Gnade flehst …«
Ich machte eine dramatische Pause, aber er schwieg. »Weiter«, sagte er schließlich mit belegter Stimme.
»Nein«, erwiderte ich. »Ich denke, ich überlasse den Rest deiner Phantasie. Also komm rasch nach Hause.« Mit diesen Worten legte ich auf.
Für ein beruflich ruiniertes und vom sexuellen Notstand nahezu gelähmtes weibliches Wesen gibt es keine bessere Therapie als Klamottenkaufen.
Als ich in den Parkplatz des Einkaufszentrums einbog, wo angesagte Markenanbieter ihre Fabrikresteläden betrieben, schoss mir durch den Kopf, dass jemand, der gerade arbeitslos geworden war, vielleicht besser kein Geld ausgeben sollte. Doch ich schob diesen Gedanken beiseite. Ich hatte in den letzten drei Jahren ordentlich verdient, meine Bonuszahlungen gespart und meine Fixkosten gering gehalten. Warum also nicht meine Ersparnisse ein wenig antasten und mir einen wohlverdienten Befreiungsschlag gönnen? Dieser Gedanke trug mich auf einer Welle der Selbstgewissheit zu J. Crew, wo ich Shorts, ärmellose T-Shirts, Sommerkleider, Sandalen, Joggingkleidung, einen Bikini und eine Auswahl an Spitzenunterwäsche kaufte, bei deren Anblick Julian die Augen aus dem Kopf fallen würden.
Erst als ich über die Schwelle von Julians Eingangstür trat, die Alarmanlage deaktivierte und meine Ausbeute betrachtete,
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