Das Meer der Zeit: Roman (German Edition)
Motor heulte ein letztes Mal auf, bevor Julian ihn abschaltete. Die Autotür fiel ins Schloss, und Julians Schritte näherten sich knirschend der Eingangstür. Da die Luft klar war, hallte jedes Geräusch deutlich durch die ländliche Stille.
Die nächsten Minuten verbrachte er vermutlich damit, mich überall im Haus zu suchen. Ich saß da und stellte mir vor, wie er von Zimmer zu Zimmer ging. Die Dielen knarzten unter seinen polierten Schuhen, und er rief mit seiner volltönenden Stimme und dem seltsam altmodisch anmutenden aristokratischen Akzent meinen Namen.
Nach einer Weile öffnete sich etwa dreißig Meter hinter mir die Terrassentür. Ich schloss die Augen und spürte, wie die Luft sich bewegte, als er näher kam.
»Hier bist du.« Er schlang von hinten die Arme um mich und stützte das Kinn sanft auf meinen Scheitel. »Entschuldige, dass es so spät geworden ist. Ich bin so schnell gefahren, wie ich konnte. Der Verkehr in Fairfield County war eine Katastrophe.«
»Hm«, erwiderte ich. Als ich noch etwas hinzufügen wollte, versagte mir die Stimme.
»Ich habe dich schrecklich vermisst.« Er küsste mich auf die Schläfe, wie ich es so gern hatte. »Wollen wir reingehen und etwas essen?«
Überwältigt von den Sinneseindrücken, die er mir vermittelte – seine Arme, sein Atem, seine Lippen, seine Wärme, der Klang seiner Stimme, der Geruch seiner Haut –, brachte ich noch immer keinen Ton heraus.
»Ach, Liebling«, fuhr er fort. »Bist du mir böse? Die Sache mit dem Schnarchen war nur ein Scherz. Du würdest deine reizenden Augen verdrehen, wenn du wüsstest, was ich in Wirklichkeit getan habe. Wie lang ich dagelegen, dem Klang deines Atems gelauscht und gewünscht habe, ich hätte den Mut, dich zu wecken.«
Ich drehte den Kopf, aber nur wenige Zentimeter, damit er mich verstehen konnte. »Ich wünschte, du hättest es getan«, sagte ich mit heiserer Stimme.
Er stöhnte auf und schloss die Arme fester um mich. »Liebling, ich konnte nicht … wir können nicht …«
Ich fiel ihm ins Wort. »Erzähl mir«, begann ich und räusperte mich, um den seltsamen Frosch im Hals loszuwerden, »erzähl mir von Florence Hamilton.«
Er erstarrte. »Woher hast du diesen Namen?«, fragte er schließlich beinahe beiläufig.
»Kurz bevor ich losgefahren bin, wurde ein Päckchen für mich abgegeben«, erwiderte ich, nahm das Buch von meinem Schoß und legte es in die vor mir ausgestreckten Hände.
»Ah«, sagte er.
»Anfangs dachte ich, dass es ein seltsamer Zufall sein muss, einer deiner Vorfahren. Doch dann habe ich deinen Brief gesehen, und die Handschrift war … zwar nicht exakt dieselbe, aber offensichtlich …« Meine Stimme kippte um.
»Mein kluges Mädchen«, meinte er. Seine Arme umfingen mich noch immer warm und zärtlich. Seine Daumen streiften den Einband des Buches. »Wie viel hast du gelesen?«
»Nur den Klappentext. Mehr habe ich nicht über mich gebracht.«
Er legte das Buch mit äußerster Vorsicht auf die Mauer, kletterte darüber und kniete sich dann vor mich ins Gras. »Verrate mir nur eines«, flüsterte er und griff nach meinen zitternden Händen. »Spielt es eine Rolle?«
Ich spürte, wie mir die Tränen über die Wangen liefen. »Ob es eine Rolle spielt? Natürlich tut es das! Es geht darum, wer du bist, Julian! Du bist … Ich habe in der Highschool von dir gehört und einen Aufsatz über dieses Gedicht geschrieben … Ich begreife es noch immer nicht. Mich vereinnahmen? Mein Gott! Bis jetzt warst du einfach nur überlebensgroß, ein Milliardär und Hedgefonds-Manager, verglichen mit dem hier eine Kleinigkeit also. Jetzt bist du Julian Ashford! Wie kann Julian Ashford hier sein und mich lieben? Das ist einfach unmöglich!«
»Ist es nicht.« Seine lodernden Augen fixierten mich. »Es ist die wichtigste Wahrheit meines Lebens.«
»Nein«, entgegnete ich. »Du warst verlobt, Julian. Wie kann ich mich mit Florence Hamilton messen? Ich habe über sie gelesen. Sie ist eine Legende. Die Times hat erst vor ein paar Wochen einen Artikel gebracht …«
»Wir sprechen später über sie, wenn du möchtest«, erwiderte er ein wenig kühl. »Du solltest nur wissen, dass sie niemals meine Verlobte war, außer vielleicht in ihrer eigenen Phantasie.«
»Egal«, sagte ich hilflos. Ich wollte aufstehen, aber er hielt meine Hände fest.
»Ist das alles, was dich beschäftigt? Meine Gefühle für dich?«
»Natürlich nicht. Die sind angesichts der Situation unbedeutend. Das Wie und Warum.
Weitere Kostenlose Bücher