Das Meer der Zeit: Roman (German Edition)
entführt?« Ich kletterte über die Mauer und marschierte in Richtung Haus.
»Kate, so ist es nicht … Ach, verdammt, Kate. Du machst es mir so schwer, auf dich aufzupassen …«
Ich wirbelte herum und prallte gegen seine Brust, weil ich nicht bemerkt hatte, dass er mir so dicht auf den Fersen folgte. »Der Grund ist, dass ich keinen Aufpasser brauche. Ich muss auch nicht gerettet werden. Schließlich bin ich nicht deine Geliebte. Eigentlich weiß ich gar nicht, was ich bin.«
»Du bist die Frau, die ich liebe.«
Ich schloss die Augen. »Julian, du weißt genau, dass du das nicht so meinst. Es hört sich wundervoll an, ist auch sehr romantisch und löst in mir den Wunsch aus, die ganze Nacht wilden Sex mit dir zu haben. Aber du kennst mich erst seit etwa zwei Wochen, wenn du die fünfmonatige Funkstille abziehst, mit der du mich beglückt hast.«
Der Mund blieb ihm offen stehen. Endlich hatte es ihm die Sprache verschlagen.
»Also lassen wir die Liebe erst mal außen vor, einverstanden? Ich bin dir nämlich bereits verfallen. Du brauchst mir nicht mehr zu schmeicheln, um mir anschließend das Herz zu brechen.«
Mit diesen Worten machte ich kehrt und stolzierte ins Haus.
Allerdings konnte ich ihm nicht lange böse sein. Erstens waren wir hier allein in einem romantischen alten Haus. Und zweitens boten sich nur wenige Möglichkeiten für einen empörten Abgang links in die Kulisse, wenn ich mich nicht strafbar machen und sein hunderttausend Dollar teures Auto stehlen wollte.
Und außerdem war er, nun, er war eben Julian.
Deshalb ging ich stattdessen sofort in die Küche und fing mit den Abendessensvorbereitungen an.
Es gab Hühnchen mit Nudelsalat. Wir aßen schweigend am Küchentisch und tranken dazu Wein. Es war offensichtlich, dass Julian angestrengt nachdachte. Seine Stirn war in Falten gelegt, als müsste er eine komplizierte Quadratgleichung lösen. Mit X und Y als Unbekannten.
Als der Wein zu wirken begann, unterhielten wir uns ein wenig, jedoch hauptsächlich über Belanglosigkeiten. Aber wenigstens wurde die Stimmung wieder lockerer. »Also, du geheimnisvoller Mann«, sagte ich und stocherte in meinem Salat herum, »meinst du, du schaffst es, mir etwas über dich zu erzählen? Vielleicht ein paar Geschichten aus deiner Kindheit? Du kannst ja Namen und Daten ändern, um unbeteiligte Personen zu schützen.«
Er lächelte. »Im Grunde genommen war es eine ziemlich durchschnittliche Kindheit, zumindest in meinen Kreisen. Wir haben hauptsächlich in London gewohnt. Mein Vater war ein wenig in der Politik aktiv. Die Ferien verbrachten wir in unserem Landhaus. Southfield, daher der Name.«
»Eine gute Idee.«
»Ja, ich bin unbeschreiblich originell. Wie dem auch sei, man könnte sagen, dass meine Eltern mich ziemlich altmodisch erzogen haben.« Er warf mir einen verschmitzten Blick zu. »Ich war, wie ich leider zugeben muss, ein freches Kind, an dem mein leidgeprüftes Kindermädchen beinahe verzweifelt ist.«
»Wirklich? Was hast du denn angestellt?«
»Ach, den üblichen Unsinn. Frösche im Schrank. Gescheiterte Experimente mit dem Chemiekasten. Ahnungslosen Besuchern Streiche spielen. Es könnte sein, dass ich meinem Vater vielleicht die Aussicht auf einen Posten im Kabinett verdorben habe. Allerdings ist das reine Spekulation. Ich war damals erst acht.«
Ich lachte. »Ich kann mir nicht vorstellen, was …«
»Und ich verrate es dir auch nicht. Mit zehn kam ich dann ins Internat, und anschließend habe ich an der Universität studiert.« Er trank einen Schluck Wein. »Und danach bin ich zur Armee gegangen.«
Ich wäre beinahe an meinem Salat erstickt. »Zur Armee? Im Ernst? Aber warum denn das?«
Er zuckte mit den Schultern. »Es schien mir damals das Richtige zu sein. Abenteuer, Aufregung. Ich habe dort viel über Menschenführung gelernt. Und über Entscheidungsfindung. Man kann mitten in einem … Manöver nicht herumdrucksen.«
»Wow.« Ich kaute und schluckte, um Zeit zu gewinnen. »Warst du im Irak?«
»Nein, nicht im Irak. Das war nach meiner Zeit.«
»Aha, daher dein Terminator-Auftritt im Park. Wahrscheinlich hat sich da der Krieger in dir gemeldet. Hm, allmählich wird mir einiges klar. Warum hast du mir das nicht schon früher erzählt?«
»Du hast mich nicht gefragt.«
»Ich wusste ja nicht, dass es etwas zu fragen gab. Hast du ein paar gute Geschichten auf Lager? Feindlicher Beschuss oder so?«
Er verzog spöttisch die Lippen. »Die eine oder andere. Ich versuche mir
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