Das Meer in deinen Augen
geworden, aber nachdem er wieder zur Ruhe gekommen war, hatte er ihm die Hand auf die Schulter gelegt: Hab ja früher auch viel Ärger gemacht. Diesmal würde er nicht so leicht davonkommen, aber irgendwie fürchtete er sich heute nicht vor der Strafe. Er hatte sie sich verdient. Er könnte sich über kein Wort beklagen, das sein Vater jetzt loswerden würde.
Aber der schwieg nur und strafte ihn mit einem Blick tiefer Enttäuschung. Konnte er ihm nicht einfach eine Ohrfeige verpassen? Benjamin ließ es kalt. Er erwiderte den Blick, ohne auch nur zu zwinkern.
»Hast du alles?« Sein Vater starrte ihn weiter an. Benjamin nickte stumm.
»Dann komm!« Er sagte es ganz nüchtern, aber seine Worte duldeten keinen Widerspruch.
Benjamin gehorchte, humpelte hinter ihm her und wich den Blicken der Polizisten aus, die ihn anstarrten, wie sie das in Filmen tun, wenn ein Verbrecher das Gefängnis verlässt. Ganz genauso. Den behalten wir im Auge . Benjamin schleppte sich einfach weiter. Jeder Schritt fiel ihm schwer. Sein Vater würde nicht warten. Er ging zielstrebig zum Auto. Benjamin musste mit ihm Schritt halten. Gleich würde er einknicken wie gestern auf dem Parkplatz. Aber diese Blöße würde er sich nicht geben. Mit letzter Kraft erreichte er die Tür des BMW . Sein Vater saß schon auf dem Fahrersitz. Benjamin stützte sich auf dem Dach ab, während er versuchte, die Tür zu öffnen. Einfach war es nicht mit dem dicken Verband und der Schiene. Sein Vater würde ihm nicht helfen und er ihn nicht darum bitten. Nachdem Benjamin fünf Mal abgerutscht war, hatte er Erfolg und ließ sich in den Ledersitz fallen. Er musste die Zähne zusammenbeißen, um nicht zu schreien. Gerade hatte er die Tür zugeschlagen, da trat sein Vater schon den Kickstart, dass es einen in den Sitz drückte. Hektisch steuerte er sie durch den Innenstadtverkehr. Selbst als ein kleiner Ford K vor dem BMW schlich und ihm merklich die Nerven raubte, brach er das Schweigen nicht.
»Weißt du eigentlich, wie peinlich mir das war?« Am Ende der Straße sah man schon ihr Haus.
Benjamin sagte nichts. Die Frage berührte ihn nicht. Sie erreichten die Auffahrt.
»Mein Sohn schlägt sich nach einem Fußballspiel, tritt Polizisten …« Er brach ab und machte eine scharfe Bremsung vor dem Garagentor. »Wenn die nicht Angst vor unserem Anwalt hätten, wärst du wohl nicht so gut davongekommen. Aber durch ist das noch nicht.« Sie blieben beide sitzen. »Willst du dich vielleicht bedanken?«
Benjamin zuckte nur mit den Schultern. Mehr fiel ihm nicht ein.
»Du solltest dich besser in Dankbarkeit üben. Ich habe hier etwas aufgebaut, und du …«
Sein Vater schluckte den restlichen Zorn hinunter und stieg aus. Krachend schlug die Tür zu. Benjamin legte den Kopf an die kalte Scheibe.
16
Die Vögel hatten Emma geweckt. An einen Traum konnte sie sich nicht erinnern. Der Tisch im Wohnzimmer war schon gedeckt, als sie die Decke zur Seite warf und sich aufrichtete. Die offene Tür zum Garten ließ die frische Luft herein. »Guten Morgen.«
Emma wandte sich um. Oma stand in der Mitte des Zimmers. »Hast du schon Hunger?«
Auf dem Tablett, das sie hereintrug, standen eine dampfende Kanne Tee, Brötchen, Honig und Marmelade.
Es blieb eine Zeit still, während sie am Tisch saßen. »Ich hatte lange keine Gesellschaft mehr beim Frühstück. Tut wirklich gut.«
Emma schaute kurz auf und trank noch einen Schluck von dem heißen Tee.
»Danke, dass ich hierbleiben konnte.«
»Ist doch kein Problem. Ich hab deine Mutter angerufen.«
Das Foto auf der kleinen Kommode fiel Emma auf, als sie die Tasse wieder abgesetzt hatte. Das eingerahmte Bild zeigte ein junges Paar, Arm in Arm auf einer Straße. Im Hintergrund fuhren die Autos und Menschen hasteten vorbei. Aber die Frau und der Mann schienen wie in einer anderen Welt, gestochen scharf vor dem verschwommenen Hintergrund. Ihre Großmutter schaute sich um. »Dein Großvater und ich. Das war unsere erste Reise. Das ist Paris. Wenn du ganz genau hinschaust, siehst du hinter den Häusern eine kleine Spitze. Den Eiffelturm.«
»Wie hast du ihn kennengelernt?«
»Das ist eine lange Geschichte, Emma.« Ihre Oma lachte stumm und ein nachdenkliches Lächeln legte sich auf das alte Gesicht.
»War er der Einzige, den du geliebt hast?«
»Oh nein, ich kannte einen jungen Mann. Da war ich sechzehn. Die Zeiten damals waren nicht für Liebende gemacht. Aber das hat uns wenig gestört.«
»Was ist mit ihm passiert?«, fragte
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