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Das Meer in Gold und Grau

Das Meer in Gold und Grau

Titel: Das Meer in Gold und Grau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronika Peters
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Altpapier landen, als der Wagen des Spenders vom Parkplatz
gerollt war. So genannte »Frauenzeitschriften« wurden mit spitzen Fingern angefasst und augenblicklich entsorgt: »Für ein Haus, bestückt mit bunten Gazetten, in denen zu erfahren ist, welches Sternchen gerade mit wem ins Bett springt, müsst ihr euch jemand anderen suchen. Bei uns wird gelesen, und zwar richtig! Oder von mir aus auch gar nicht, jedenfalls kein Schwachsinn!«
    Vermisste jemand ein lieb gewordenes Buch, das bei seinem letzten Aufenthalt noch im Zimmer gelegen hatte, war es möglich, dass Ruth ihn aufforderte, gefälligst das zu lesen, was er vorfand, oder selbst im Haus herumzuschauen. Ebenso war es denkbar, dass sie bei der Suche half, und das war nicht nur eine Frage ihrer Tagesform. Manchmal brachte sie durch absichtliche Positionierung Mensch und Lektüre zusammen, wenn sie es für angebracht hielt; bei anderen Gelegenheiten packte sie einen Stapel, der ihr im Weg lag, kurzerhand in den Korb auf dem Wagen und bat Ania oder Bascha, die Bücher auf die Zimmer oder die Bibliothek zu verteilen, egal wie, Hauptsache, ihr waren sie aus den Füßen. Durch Buchbinder Meyers Handwerkskunst sowie Nummern am Rücken waren jene Exemplare kenntlich, die Ruth des Palau würdig befunden hatte. Elisabeth war gegen »diesen Zirkus mit den wandernden Büchern«. Sie lese selbst gern, wisse aber nie, wo ein gewünschtes Buch gerade zu finden sei. Das Ganze sei ihr zu willkürlich, zu anmaßend und die Buchbinderarbeiten unangemessen teuer. Aber Ruth blieb dabei, sagte: »Die Bücher gehören zum Lebendinventar: ausgewählt, gepflegt, gut angezogen und im ganzen Haus unterwegs. Unsere Gäste mögen das. Es gibt ihnen das Gefühl, dass in jeder Ecke eine Entdeckung auf sie wartet: Abenteuer, Herzschmerz, Saufgelage, all das, was das Leben interessant macht. Ich habe Leute gesehen,
die als Idioten hier angekommen und mit mittlerem Verstand wieder abgereist sind.«
    Bei dem Thema konnte Ruth schon mal eine flammende Rede halten, und wenn man nicht Elisabeths Stellung hatte, tat man gut daran, ihr dann nicht zu widersprechen.
    Die Lektüre mit in den Strandkorb zu nehmen war erlaubt, solange es sich um einen der hauseigenen handelte. Bei entsprechender Wettervorhersage wurden sie auf verwaiste Exemplare kontrolliert, jedenfalls theoretisch. Gegen Bücherklau hatte Ruth eigens einen Stempel anfertigen lassen:
    Eigentum des Strandhotel Palau:
    Sollten Sie außerhalb unseres Hauses auf dieses Buch stoßen, betrachten Sie es als Diebesgut!
    Ein Schild zu dem Thema entdeckte ich hinter der Garderobe: STEHLEN MACHT HÄSSLICH! Angeblich wirkte es seit über zwanzig Jahren. Kein Hut, keine Jacke, kein Mantel sei jemals weggekommen, behauptete Ania. Das war grob gelogen, machte aber die Stimmung heimeliger. Die Gäste liebten solche Mythen, sahen im Palau die angeblich »gute alte Zeit« weiterbestehen, in der zwar auch nicht weniger geklaut worden war, aber davor hatte die Erinnerung längst ihren Weichzeichner geschoben. »Früher war alles besser«, und Kriminelle hatte es längst nicht so viele gegeben. Ruth fand solche Sprüche albern, aber wenn die Gäste sich wohl fühlten, dann freute sie das.
    Â 
    Die Ausgabe von Grimms Märchen von 1963 in Schweinsleder, Kennzeichen MÄ 237, existiert aus dem einzigen Grund noch heute, weil sie ein dauerhaftes Versteck im Seitenfach meines Rucksacks fand.

    Â 
    Am ersten Morgen ließen mich reißende Schmerzen im Fuß senkrecht aus dem Bett fahren. Es sickerte rot aus einem Schrägstrich im hornhautbewehrten Fleisch meiner großen Fußzehe, und es brauchte einige Sekunden, bis aus Fauchen, Rauschen, Poltern, einem Aquarell mit Schilfgras und unverhofft am Hinterkopf beginnender Dachschräge eine Ortsbestimmung herzustellen war: Leicht verkatert aufgewacht im Hotel meiner Tante, die Bettwäsche nach wenigen Stunden bereits fleckig, aber ich nicht mehr in Hamburg-Bergedorf ansässig und kein häuslicher Zusammenbruch im Stockwerk unter mir, für den ich verantwortlich war. Ich hatte gewaltige Fortschritte gemacht und fragte mich, ob es hier so etwas wie einen Verbandskasten gab.
    Die Schwalbennestkatze war identisch mit der, die tags zuvor an der Rezeption gelegen hatte. Sie hatte sich das kleine Zimmer unter dem Dach lange vor mir als Nachtquartier bestimmt und schlug ihre Krallen, wohin es ihr passte.

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