Das Meer in Gold und Grau
mir gar auf die Schulter, sagte: »Mach du das doch« und zeigte sich interessiert, als ich ihr den Internetauftritt
vom Halsunger Hof vorführte, den sie allerdings arg billig fand. Sicherheitshalber gab ich ihr Recht.
Auch eine Art Wiedergeburt: die Fotos von diesem Tag, die ersten seit Abbruch der Lehre bei Foto-Kinzig, mehr als acht Jahre zuvor. Sie zeigen hauptsächlich fröhlich feiernde Gesichter: Sergej, der die Küchenschürze schwingt, Hans mit der Pfeife in eines der Bücher versunken, Elisabeth mit Sahneklecks im Mundwinkel, Ania vor der Wanddekoration in der Kajüte und einmal Ruth, wie sie, leicht vorgeneigt auf der Tischkante abgestützt, aus dem Fenster hinausblickt ins verregnete, kalte Grau, die Mundwinkel gekräuselt, in einem Stadium, das noch alles werden kann: Lachen oder Zorn oder die ganze Palette von Möglichkeiten dazwischen. Manchmal denke ich: so war sie, genau wie auf dem Foto. Aber an anderen Tagen bin ich überzeugt, dass das Bild gar nichts über sie verrät.
Meine Kamera erzählt selten das, was ich zu sehen glaube, auch heute noch nicht, wo ich sie täglich und mit gröÃerer Selbstverständlichkeit gebrauche. Vielleicht heute sogar noch weniger als zu der Zeit im Palau, als ich mich ihr und den Bildern zu nähern versuchte wie einer lange vermissten Person.
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Kurz vor Mitternacht waren nur noch Ruth, Elisabeth, Heinrich und ich an der Geburtstagstafel übrig. Der Alte saà zusammengesunken auf der Eckbank und schnarchte leise vor sich hin, während wir »drei Hinterbliebenen«, wie die Tante uns nannte, noch den letzten Rest einer Flasche Chateau Cheval-Blanc unter uns verteilten, die Elisabeth für einen besonderen Anlass aufbewahrt hatte.
»Noch fünf Minuten, und ich hab nicht mehr Geburtstag.«
»Jetzt gehtâs strack auf die vierzig zu!«
»Na ja.«
»Das geht schneller, als du denkst.«
»Und sieh, die Schönheit schwindet hin, der Jahre mitleidlose Spur â¦Â«
»Sprüche!«
Die Tante lachte mit mir, aber Elisabeth wurde ernst: »Das sind keine leeren Sprüche. Auch du wirst das erleben: die Zeit beschleunigt sich, ein Jahrzehnt passt plötzlich in zwei Sätze, die Jugend in wenige Fotografien. Noch denkst du, Zeit ist etwas, das du vor dir hast, aber bald wird Zeit für dich etwas sein, das du zum gröÃten Teil hinter dir hast.«
»Sie ist gerade mal dreiÃig geworden, Lizzy!«
»Na und? Ihr steht vielleicht gerade noch die Welt offen, aber uns verschlieÃt sie sich jeden Tag mehr.«
»Du kriegst nichts mehr zu trinken!«
Ruth begann das Geschirr abzuräumen, fegte mit der Handkante die Krümel vom Tisch und donnerte die Teller aufeinander, dass man um sie fürchten musste. Elisabeth war noch immer nicht fertig:
»Du siehst es zuerst in den Blicken der anderen. Heute und morgen noch nicht, aber irgendwann, bald, es nähert sich bereits, glaub mir. Etwas ändert sich, schleichend. Und dann kommt der Tag, an dem jemand über dich sagt: Das war einmal eine schöne Frau.«
Ich flüsterte: »Only yesterday you where younger.«
Die Hand der Tante ruhte eine Sekunde lang auf meiner Schulter, während Elisabeth weitersprach.
»Es fängt damit an, dass du Gleichaltrige für älter schätzt, als du selbst es bist. Du lernst jemanden kennen, auf einer Feier, bei der Arbeit, dann nennt dieser Mensch sein Alter, und du erschrickst, weil sie oder er zwei oder vier Jahre nach dir
geboren wurden und du ihnen locker fünf Jahre mehr als dir selbst gegeben hattest. Du sagst dir: So alt wie die sehe ich nicht aus, die hat sich schlecht gehalten, die raucht viel mehr, die lebt ungesünder und so weiter. Dann schaust du um dich und bemerkst, dass deine Umgebung immer jünger geworden ist, aber du irrst dich: Niemand ist jünger geworden, sondern du älter. Du lügst dich, wenn es gut läuft, noch einige Jahre in Sicherheit, bis du es selbst entdeckst, eines Morgens beim Zähneputzen oder wenn du deinen Lidstrich nachziehst, erscheint eine ältere Frau vor dir und erwischt dich eiskalt: Du selbst bist diese ältere Frau. Der Verfall hatte erst mal ohne dich angefangen, aber dann hat er dich eingeholt, an einem Tag, dessen Datum du dir nicht merken wirst. Du hast in den Spiegel geschaut und es gesehen, und nun ist es zu spät, und keiner ist da, bei dem du dich dafür rächen kannst.«
Sie
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