Das Meer in seinen Augen (German Edition)
Christian und sein Blick veränderte sich eine Spur. Zumindest glaubte Merlin diese Veränderung gesehen zu haben.
»Ich bin ein Meister für beschissene Situationen, was?«, sagte Merlin und lachte auf.
»Das kann man wohl sagen.« Christian betrachtete ihn ernst. »Willst du meine ehrliche Meinung?«
Merlin nickte.
»Beende das mit diesem David, bevor es zu spät ist. Du kannst nicht von einem Desaster ins nächste hüpfen und darauf hoffen, dass am Ende schon alles gut wird.«
Merlin schluckte. Das waren genau seine Gedanken, bevor das alles mit David angefangen hatte. Aber dafür war es jetzt zu spät, oder etwa nicht? Jedenfalls würde es nur ein heilloses Theater geben.
»Das geht nicht«, sagte Merlin matt.
Christian sah ihn fragend an.
»Wir sind Nachbarn, wir gehen zusammen in die gleiche Klasse - und ich liebe ihn.«
Wortlos nahm Christian ihm das leere Glas aus der Hand und ging zum Kühlschrank. Als er kurz darauf mit neuen Wodkas zurückkam, lächelte er ihn mitleidig an.
»Was?«, fragte Merlin.
»Du hast recht, du bist echt grandios, wenn's darum geht, sich den dicksten Haufen auszusuchen und reinzutreten.«
Merlin lachte. »So kann man es auch sagen.«
»Warum hast du mir eigentlich nie was von diesem Paolo geschrieben?«, fragte Christian plötzlich.
Merlins Lächeln gefror. »Was hätte ich dir denn schreiben sollen?«, fragte er.
»Na, wie wär's zum Beispiel, dass er der Freund deiner Mutter ist und dass ihr zu ihm gezogen seid? Über deine Mutter hast du doch auch ab und an was erzählt.«
Nachdenklich nickte Merlin. Er konnte sich spontan nicht erinnern, dass er mal etwas über Paolo geschrieben hatte. Aber er konnte sich genauso wenig vorstellen, dass er ihn komplett verschwiegen hatte.
»Hast du dir damals keine Gedanken gemacht, dass er der Freund deiner Mutter ist?«
Die Frage traf Merlin wie ein Hammer. Regungslos saß er auf der Couch und traute sich nicht, die Starre zu brechen. Er hatte Angst, dass er plötzlich auseinanderfallen und auf dem Boden in tausend Teile zerspringen könnte.
»Tut mir leid, wenn ich das so direkt ...« Christian brach ab.
Merlin spürte wieder den Arm auf seiner Schulter. Diesmal war er froh über diese Berührung.
»Ich weiß auch nicht«, flüsterte Merlin schließlich. »Ich weiß es echt nicht. Es ist so - bescheuert.«
Christian streichelte ihm über den Kopf.
»Aber es ist immer so - seltsam«, fuhr Merlin fort. »Wenn Paolo in meine Nähe kommt, fühle ich eigentlich nichts als Ablehnung. Am liebsten würde ich ihn manchmal von mir wegschubsen. Er ist ein richtiges Machoarsch, musst du wissen. Dann berührt er mich aber und irgendwie ...« Er wusste nicht weiter.
»Und irgendwie?«
»Irgendwie ist es, als hätte ich nur darauf gewartet«, sagte Merlin schließlich. »Wenn ich seine Haut auf meiner spüre, bin ich plötzlich weit weg. Ich denke einfach nicht mehr nach.«
Christian ließ seine Hand über Merlins Wange gleiten.
»Verdammt!«, rief Merlin und rückte von Christian ab. »Ich erzähle dir hier ...« Dann sah er, dass Christian Tränen in den Augen hatte. Merlin schwieg betreten.
»Entschuldige«, sagte Christian. »Tut mir echt leid.« Er wischte sich mit den Handrücken über die Augen und versuchte anschließend ein Lächeln, das ihm missglückte.
61
David legte das Fernglas ab. Drüben gab es wie erwartet nichts zu sehen. Selma lief in der Küche hin und her. Aber von Merlin fehlte natürlich jede Spur. Was er jetzt wohl machte? Draußen war es bereits dunkel. Vielleicht feierte er gerade in diesem Moment eine Party oder ging mit seinem Christian in die Disco und hatte Spaß. David legte sich aufs Bett. Er fühlte die Unzufriedenheit in sich, die Wut auf Merlin, der ihn hier allein zurückgelassen hatte und jetzt womöglich irgendwas ohne ihn unternahm. Nein, David rieb sich mit den Händen übers Gesicht, so durfte er nicht denken. Merlin hatte ihm erklärt, warum er eine Weile weggehen musste. Und er hatte nicht so ausgesehen, als würde er es genießen. Trotzdem fiel es David schwer, das Verständnis für Merlin über seine Gefühle zu setzen. Er fühlte sich allein und es war ihm letztlich egal, was Merlin für Gründe hatte, ihn allein zu lassen. Er ballte seine Hände zu Fäusten. Warum konnte man nicht einfach bestimmen, was man fühlte? Er kam sich so unendlich schlecht vor. Irgendwie wusste er gar nicht, was er denken sollte. Diese Unsicherheit tat weh. Am liebsten würde er sich jetzt ablenken,
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