Das Meer in seinen Augen (German Edition)
gefahren?«, fragte seine Mutter ungläubig.
»Ja«, antwortete David. »Sie musste ihren Zug bekommen. Deshalb hatte sie es auch ein wenig eilig.«
»Warum hast du das nicht gleich gesagt?«
»Weil ich ja nicht wusste, ob ihr damit einverstanden seid, wenn sie hier schläft.« David wurde das Gefühl nicht los, dass er die Geschichte schon jetzt zu weit gesponnen hatte. Irgendwie wäre es doch besser gewesen, sich nicht auf dieses Spiel einzulassen. Aber welche Möglichkeit hatte sie ihm gelassen? Ein Schweigen ließ sie nicht gelten und die Wahrheit durfte er ihr nicht erzählen. Also blieb nur die Lüge. Und jetzt, da er einmal damit angefangen hatte, konnte er schlecht wieder aufhören.
»Wie kam sie eigentlich überhaupt hier her?«
David sah seine Mutter irritiert an. »Wie?«
»Ja, ich denke du hast mit diesem Merlin einen Film geschaut?«
Innerlich verdrehte David die Augen. Da fing es schon an. Selbstverständlich machte sich seine Mutter nun einen Sport daraus, die Geschichte auf ihre Beständigkeit zu überprüfen. Natürlich hatte sie recht. Warum sollte plötzlich ein Mädchen hier auftauchen?
»Merlin hat sie mitgebracht«, antwortete er zögerlich. Auch das war wieder so eine Aussage, die tausend Fragen zuließ. So würde es jetzt wahrscheinlich weitergehen, bis er sich irgendwann selbst überführt hatte. Zudem schien es ihm plötzlich wenig glaubwürdig, wenn er alles Merlin zuschob.
Seine Mutter nickte nachdenklich. »Aber warum hat sie dann nicht gleich bei ihm geschlafen?«, fragte sie kurz darauf.
Langsam wurde die Luft eng, stellte David fest. Das ging doch tatsächlich schneller, als er gedacht hatte. »Ich weiß nicht«, sagte er. »Vielleicht wollte sie einfach lieber bei mir bleiben?« Ein Lächeln huschte über sein Gesicht. Angriff war bekanntlich die beste Verteidigung. Und tatsächlich sah ihn seine Mutter überrascht an.
»Ist er nicht eifersüchtig?« Mit einem Mal war das Prüfende in ihrer Stimme der Neugier gewichen.
»Ich glaube nicht«, sagte David.
»Hmm«, machte sie. »Also ich kann mir schon vorstellen, dass ihm das nicht so gut gefallen hat. Immerhin hat er vorhin einen ziemlich bedrückten Eindruck gemacht.«
»Du hast ihn gesehen?«, fragte David überrascht.
»Ja, er ist mit jemandem weggefahren.« Sie betrachtete ihn einen Moment nachdenklich. »Wenn er mit diesem Mädchen zusammen ist, dann misch dich da nicht ein, Davi. Das gibt nur Ärger.«
»Ach Mam, es ist echt nicht so. Ich bin mit Merlin befreundet und er will nichts von Linda, das ist mal sicher.«
»Ah, Linda heißt sie also.« Die Augen seiner Mutter strahlten.
David biss sich auf die Unterlippe. Verdammt!
»Aber wenn sie vorher mit ihm zusammen war, dann ...«
»Nein, Merlin war nicht mit ihr zusammen«, sagte David.
»Warum nicht?«, fragte seine Mutter. Irgendwie schien es, als konnte sie nicht glauben, dass ein Junge und ein Mädchen lediglich Freunde waren.
»Du kannst echt Fragen stellen«, stöhnte David und legte sich wieder hin. »Ich würde jetzt gern noch ein wenig ...«
»Ist er homosexuell?«, warf sie unvermittelt in den Raum.
David hielt die Luft an. Augenblicklich wurde ihm heiß. Was sollte er jetzt sagen? Sein Kopf war mit einem Mal leer. Lediglich die Furcht, dass er vollkommen unpassend rot werden könnte, füllte ihn aus. Und die Hitze, die auf seinen Wangen brannte, verhieß nichts Gutes. Die Stille im Zimmer drückte auf seine Ohren. Er sagte sich immer wieder, dass sie sein Erröten wahrscheinlich gar nicht bemerkte. Und wenn doch, dachte sie vielleicht, dass er sich aufregte oder wütend wurde. Sie konnte ihm nicht in den Kopf schauen! Dann löste sich plötzlich der Knoten und er sagte: »Frag ihn doch einfach beim nächsten Mal.« Er zwang sich, seiner Mutter in die Augen zu sehen.
»Vielleicht sollte ich das wirklich tun«, überlegte sie. »Irgendwie ist mir der Junge nicht geheuer.«
»Mam, nur weil du mit seinen Eltern nicht ...«
»Nein, damit hat das nichts zu tun. Ich glaube er ist komisch. Und ich will nicht, dass er dich auf dumme Gedanken bringt, hörst du?«
»Ich kann schon ganz gut selbst auf mich aufpassen«, sagte David und war froh, dass sein Gesicht langsam wieder abkühlte.
»Wenn er wirklich homosexuell ist, möchte ich, dass du dich auf jeden Fall von ihm fernhältst.« Ihr Blick durchbohrte ihn förmlich. »Wahrscheinlich sah er deshalb so geknickt aus, weil er sich etwas von diesem Abend versprochen hat und diese Linda ihm
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