Das Meer in seinen Augen (German Edition)
Beziehungsfragen weitsichtig zu sein. David verstand das nicht. Das war ja fast wie der Fünfsternekoch, der zu Hause nichts anderes fertig brachte, als eine schnöde Fertigsuppe.
Es klingelte. David runzelte die Stirn und sah auf seinen Wecker. Elf Minuten nach zehn Uhr. Sonntag. Der Postbote konnte es also nicht sein. Mit einem Satz sprang er aus dem Bett. Aufregung belebte seinen Körper. Unten öffnete seine Mutter die Tür und er hörte schwach, dass sie etwas sagte. Es klang nicht sonderlich freundlich. Davids Gewissheit stieg. Hastig sprang er in seine Jeans und zog sich sein altes T-Shirt über. Dann rief seine Mutter auch schon nach ihm.
»David!«
Ja! Oh, danke, dachte er und stürmte aus seinem Zimmer. Gerade als er schon auf die Treppe hechten wollte, fiel ihm ein, dass er doch besser noch schnell einen Blick in den Spiegel warf, bevor er sich noch blamierte. Obwohl, er hielt inne, im Grunde war es egal. Er polterte die Treppe hinunter. Voller Erwartung sprang er in den Flur. Seine Mutter schaute ihn finster an.
»Guten Morgen!«, rief er ausgelassen. Dann sah er Selma in der Tür stehen. Sein Lächeln geriet ein wenig ins Wanken.
»Morgen«, sagte sie. »Ich wollte nur fragen, ob du vielleicht Lust hast, mit mir zum Sport zu gehen.« Sie lächelte ihn an, während ihre langen, roten Haare leicht im Wind wehten. Fast sah sie wie eine Hexe aus, die dahergeflogen kam.
»Ich - äh ...« David war vollkommen perplex. Irritiert sah er von Selma zu seiner Mutter, die ein abfälliges Gesicht zog.
»Also ...«, begann David noch mal, wusste aber noch immer nicht, was er sagen sollte.
Schließlich mischte sich seine Mutter ein. »Das ist doch sicherlich teuer.«
»Nun ja«, sagte Selma. »Wenn David mit mir geht, ist er Gast und kann sich alles anschauen. Aber irgendwann würde es dann schon etwas kosten, wenn er regelmäßig hingehen will.«
»Ich weiß nicht«, sagte Hanne. »David ist ja nicht so der sportliche Typ und ...«
»Ach wirklich?« Selma machte ein überraschtes Gesicht. »Mittwoch Abend hat sich das irgendwie anders angehört. Also zumindest segeln kann er.«
David sah amüsiert zwischen seiner Mutter und Selma hin und her.
»Also, ich denke nicht, dass sich diese Investition lohnt«, sagte seine Mutter hochnäsig. »Außerdem ist es gewiss nicht hygienisch, auf Sportgeräten zu trainieren, die bereits von anderen vollgeschwitzt wurden.«
Selma lachte. »Ich schlage vor, dass wir David selbst entscheiden lassen, ob er sich dieser Gefahr aussetzen will. Und was den Monatsbeitrag angeht, der vielleicht anfällt, wenn er sich dafür entscheidet, kann ich ja mal mit Paolo sprechen. Da kann man sicher eine kleine Gehaltserhöhung ausmachen, damit das Extra in den finanziellen Rahmen passt.«
Seine Mutter schnappte nach Luft. »Also ...«, fing sie an, doch David rief dazwischen.
»Ich hole mir nur eben Sportsachen! Bin gleich wieder unten!« Er stürmte die Treppen hoch. Eilig riss er eine Sporthose aus dem Schrank und ein frisches T-Shirt. Dann rannte er ins Bad, um sich kurz ein wenig Wasser ins Gesicht zu werfen und die Zähne zu putzen. Seine Haare sahen einigermaßen akzeptabel aus. Als er wenige Minuten später wieder unten ankam, war er völlig außer Atem. Seine Mutter stand vor der geschlossenen Haustür und sah ihn finster an.
»Was soll das?«, fragte sie.
»Was?« David legte ein unschuldiges Gesicht auf.
»Du weißt genau was ich meine.«
»Ich gehe zum Sport«, sagte David. »Was ist daran schlimm?«
»Was hast du mit dieser Frau zu schaffen?« Die Stimme seiner Mutter hörte sich an, als hätte er sich etwas absolut Widerliches zuschulden kommen lassen.
»Nichts«, antwortete er. »Sie hat gefragt, ob ich mit ihr ins Fitnesscenter gehe, das ist alles.«
»Auf die Idee kommt sie einfach so?« Seine Mutter lachte.
»Nein«, log David. »Ich habe ihr gesagt, dass ich mich auch anmelden will, weil Merlin immer dort hingeht. Wahrscheinlich dachte sie sich, dass mir langweilig wird, weil Merlin ja schließlich nicht da ist. Was ist daran so schlimm?«
»Du weißt, wie ich darüber denke«, sagte sie und der Vorwurf in ihrer Stimme schnitt durch die Luft. »Ich will nicht, dass du dich mit diesem Jungen abgibst und noch weniger will ich, dass du mit seiner Familie - irgendwas unternimmst.«
David wusste nicht, was er sagen sollte. Er hatte seine Mutter noch nie so erlebt. Fast schien es, als würde sie jeden Moment die Beherrschung verlieren und auf ihn losgehen. Dann
Weitere Kostenlose Bücher