Das Meer in seinen Augen (German Edition)
»Sag bloß, dein Freund ist einer von den Verkappten, die zu Hause noch das brave Bübchen spielen!«
»Wenn du wissen willst, ob er geoutet ist: Nein, ist er nicht. Und du brauchst jetzt auch kein Theater abziehen.« Merlin merke, dass er leicht auf Christian zuschwankte. »Wenn du seine Eltern kennen würdest, wüsstest du Bescheid.«
»Au Backe!« Christian sah ihn mit großen Augen an und schüttelte den Kopf. »Du lässt aber wirklich nichts aus, oder?«
Merlin lachte bitter auf. »Glaub mir, das Ganze ist nicht auf meinem Mist gewachsen. Meine Mutter hat mich sozusagen gezwungen.«
»Ach, hör mit der Kacke auf!« Christian kippte einen gehörigen Schluck Wodka hinunter. Er hustete. Dann redete er heiser weiter: »Als wenn du auf deine Mutter hören würdest.«
»Hab ich aber«, sagte Merlin trotzig. »Ohne sie wäre es niemals so weit gekommen. Ich fand David zwar süß, hätte ihn aber nie angesprochen. Erst recht nicht, wenn ich gewusst hätte, dass er in meine Klasse geht.«
»Weißt du noch, wie du mir immer gesagt hast, dass du nicht so eine Discohusche willst, aber auch auf keinen Fall das Gegenteil?« Christian lachte. »Ich sag dir, diese Verklemmten, das sind die, die dir Probleme machen. Da hast du dein eigenes Coming Out gemeistert und darfst dich gleich um das deines Freundes kümmern.«
»So ist das nicht.« Merlin warf Christian einen bösen Blick zu. Aber er hatte den Verdacht, dass er ihn verfehlt hatte. Christian war so unscharf.
»Dann schlägst du dich halt mit den Heimlichtuereien rum.« Christian machte eine nasale Stimme: »Nein, wir dürfen nicht Händchen halten, die Leute könnten es meinen Eltern erzählen, weil die auch nix Besseres zu tun haben, als den ganzen Tag irgendwelchen Eltern zu sagen, dass ihr Sohn ne Schwuchtel ist.«
Merlin warf sich lachend zurück und verschüttete seinen Wodka Lemon. Christian konnte einfach genial das Gesicht verziehen. Dann schlug er ihm auf die Schulter und rief ausgelassen: »Du bist ein Arsch!«
»Danke, sehr freundlich der Herr, soll ich ihr Glas wieder vollmachen?«
Merlin zögerte einen Moment. Eigentlich hatte er sich vorgenommen, nach diesem Glas nichts mehr zu trinken. Er ahnte, dass er schon bald einen Kater bekommen würde. Andererseits machte der Abend mit Christian gerade richtig Spaß. Hätte er nicht für möglich gehalten.
»Gern«, sagte er schließlich und reichte Christian sein Glas.
Christian sprang auf und riss sich seine Hose runter. »Kleinen Moment.«
Merlin schrie auf. »Nein!« Geschockt sah er seinen Kumpel an, der gerade anstalten machte, seine Unterhose runterzuschieben. Dann lachte er laut auf rollte sich von der Couch runter.
»Du bist eine Sau!«, presste er zwischen den Lachanfällen heraus.
»Warum?«, fragte Christian und tat so, als wäre es das Natürlichste der Welt, seinen Penis in das Glas eines anderen zu halten. »Soll ich jetzt vollmachen, oder nicht?«
»Die Sauerei mach ich aber nicht sauber!« Merlin stemmte seine Arme in die Hüfte. »Die Flecken gehen nie wieder raus, das sag ich dir, mein Freundchen«, sagte er mit verstellter Stimme und stellte sich dabei Frau Gessen vor.
Sie prusteten beide los.
Irgendwann saßen sie wieder nebeneinander auf der Couch und hielten sich die Bäuche. Christians Hose hing ihm immer noch an den Knöcheln. Aber wenigstens hatte er sein Gießkännchen wieder eingepackt, dachte Merlin und bekam den nächsten Lachanfall. Er lachte so sehr, dass er schon befürchtete, keine Luft mehr zu bekommen oder sich gleich hier auf den Teppich übergeben zu müssen oder beides. Es tat richtig weh. Und plötzlich liefen ihm nicht mehr nur Lachtränen aus den Augen, sondern auch Tränen der Anstrengung und schließlich richtige. Irgendwie war das alles zu viel - der Alkohol, David, Paolo, seine Mutter und auch Christian. Merlin zog schmerzhaft Luft in seine Lungen. Durch die Tränen sah er Christian, vollkommen verschwommen. Er hörte ihn nicht mehr lachen. Aber er war noch da, um ihm zu helfen, oder nicht? Hilfesuchend streckte Merlin seine Arme aus, während immer neue Tränen aus seinen Augen strömten. Panisch stellte er fest, dass er schon zu lange keine Luft mehr geholt hatte. Das ging irgendwie nicht mehr automatisch. Er konnte einfach nicht aufhören zu heulen. Sein Körper zuckte unkontrolliert, während seine Hände immer noch nach Christian suchten, der wohl doch irgendwie verschwunden war. Dann traf er endlich auf Widerstand. Merlin schien es, als wären
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