Das Meer in seinen Augen (German Edition)
unangenehm nach.
»Bitte was?«, rief er plötzlich, als die Bedeutung der Worte bei ihm angekommen war. Mit einem Satz sprang er auf. Ein Lachen drang aus seiner Kehle, das keines war.
»Ich glaube die Geschichte mit diesem Mädchen nicht«, sagte seine Mutter. »Und ich will wissen, was das heute morgen zu bedeuten hatte. Diese Frau kommt doch nicht einfach so vorbei und fragt, ob du mit in den Sportverein willst.«
»Es ist ein Fitnesscenter«, korrigierte David.
»Wie dem auch sei!« Seine Mutter schnippte energisch mit den Fingern in seine Richtung. »Setz dich bitte wieder.«
Fassungslos ließ sich David in den Sessel sinken.
»Ist da was dran?«, fragte sein Vater schließlich.
»Nein.« David sah seinen Eltern in die Augen. »Nein, da ist natürlich nichts dran. Wie kommt ihr nur auf so einen Mist?« Er spürte Wut in sich aufkochen.
»Wir machen uns Sorgen!«, rief seine Mutter. »Und du erzählst uns nichts! Was sollen wir denn deiner Meinung nach machen? Däumchen drehen und zusehen, wie dich dieser Homosexuelle verkorkst?«
David schnappte nach Luft.
Sein Vater legte seiner Mutter eine Hand aufs Bein, um sie wieder zu beruhigen.
»Deine Mutter glaubt, dass der Nachbarsjunge - schwul ist«, sagte sein Vater gefasst. »Das ist auch ein Grund, weshalb wir nicht möchten, dass du dich weiter mit ihm abgibst.«
David fühlte sich plötzlich so, als müsse er sich festhalten, um nicht an die Decke zu schweben. »Was ist denn so schlimm, wenn - wenn - wenn er - schwul ist?«, hörte er sich aus weiter Ferne fragen.
»Das fragst du noch?«, schrie seine Mutter. »Was daran schlimm ist?«
»Hanne!«, rief sein Vater.
»Ich fasse das einfach nicht«, sagte sie etwas gedämpfter. »Mein Sohn läd sich einen Homosexuellen nach Hause ein und fragt, was daran schlimm ist.«
»Also ich kann daran nichts Schlimmes finden«, hörte sich David mit fester Stimme sagen. Diesmal klang er wieder näher.
»Was soll das bedeuten?«, fragte sein Vater leise, während seine Mutter sich die Hände vor den Mund schlug und ihn aus weit aufgerissenen Augen anstarrte.
Jetzt war der Moment gekommen. Der Bohrer setzte auf den Zahnschmelz auf und durchbrach die erste Schicht.
»Ich - ich ...«, sagte David. Dann sprang er auf und rannte aus dem Wohnzimmer.
69
Selma stopfte ihre Sportsachen gleich in die Waschmaschine. Lustlos zog sie den Wäschekorb an sich heran und sortierte die Schmutzwäsche entsprechend, um die Maschine vollzumachen. Sie hörte unten den Fernseher laufen. Paolo sah sich mal wieder irgendwas unglaublich Dummes an. Der Krach nervte sie ungemein. Manchmal hatte sie das Gefühl, dass Paolo das extra machte. Wütend drückte sie die Kleidungsstücke durch das Bullauge. Seit Tagen grübelte sie jetzt schon darüber nach, was genau sie eigentlich an ihrem Freund störte. Warum war das anfängliche Feuer, weshalb sie sich überhaupt erst auf ihn eingelassen hatte, so plötzlich verschwunden? Sie seufzte resigniert. Wahrscheinlich war es das typische Problem mit der Zeit. Wenn man erst mal eine Weile mit jemanden zusammenlebte, wurde schnell alles zu - Routine. Irgendwie hatte sie das Gefühl gehabt, bei Paolo könnte das vielleicht anders sein. Aber mittlerweile war sie sich recht sicher, dass sie darauf nicht mehr hoffen konnte. Auf eine seltsame Art war sie sich bewusst, dass zwischen ihnen etwas nicht stimmte. Da passte etwas nicht. Doch immer wenn sie sich daranmachte, dieser Spur nachzugehen, wurden ihre Gedanken schwammig. Es schien, als entzögen sie sich der Wirklichkeit, sie blieben unfassbar. Das änderte aber nichts daran, dass sie sich letztlich wohl oder übel von ihm trennen musste, auch wenn sie ihre Entscheidung nicht wirklich begründen konnte. Sie hatte sich immer geschworen, auf ihr Gefühl zu hören. Und nun fragte sie sich ernsthaft, ob sie, was Paolo betraf, nicht schon zu lange ihr Gefühl überhört hatte. Fast zwang sich ihr schon der Verdacht auf, dass sie sich lediglich der Leidenschaft wegen auf ihn eingelassen hatte. Wenn sie ehrlich war, musste sie sich eingestehen, dass sie letztlich nur deswegen noch ausharrte. Die Hoffnung, dass sich noch mal etwas ändern würde in ihrem Sexleben, hielt sie hier. Sie war nicht mehr die Jüngste und irgendwie ließ die Furcht nicht locker, mit Paolo den letzten Zug zum Glück erwischt zu haben. Aber was war Glück am Ende? Sex? Sie lachte bitter auf. Unerfüllte Wünsche, das war der Ort, den dieser Zug zum Ziel hatte. Letztlich blieb
Weitere Kostenlose Bücher