Das Meer in seinen Augen (German Edition)
nur eine Konsequenz: Abspringen und neu orientieren. Wenn das bedeutete, dass sie sexuelle Befriedigung nur in der Erinnerung fand, so hatte sie keine großen Veränderungen zu befürchten.
Selma bemerkte, dass sie untätig an der Waschmaschine lehnte. Mit einem tiefen Seufzer erhob sie sich, schloss das Bullauge und gab Waschmittel in das Gerät. Grinsend dachte sie darüber nach, dass sich der Durchschnittskerl wohl genau so eine Frau mit Liebeskummer vorstellte: Beim Wäschewaschen über die Liebe sinnierend. Letztlich waren sie doch alle Arschlöcher, dachte sie und startete die Maschine. Dann ging sie runter und blieb im Türrahmen zum Wohnzimmer stehen. Paolo starrte gebannt auf den Fernseher. Er sah wie ein großes Kind aus, so vollkommen ging er in dem, was er da verfolgte, auf. Im Grunde war es genau das Bild, das sie immer wieder zum Umdenken brachte. Er war ein Macho wie er im Buche stand. Er markierte gern den harten Kerl. Aber auf der anderen Seite zeigte er sich ihr so hilflos. Ja, im Grunde hatte sie immer das Gefühl, dass sie es ihm nicht antun konnte, die Beziehung zu beenden. Sie dachte an ihre eigenen Worte Merlin gegenüber: Man durfte nicht einfach so aufgeben. Liebe bedeutete letztlich immer Engagement - von beiden Seiten. Bis zu einem gewissen Grad verpflichtete man sich, den bisweilen geringeren Einsatz des anderen durch mehr eigene Aufwendung auszugleichen, klar. Aber was bedeutete es, wenn sich der andere Part gar nicht mehr für die Beziehung einsetzte? War das nicht letztlich die Einverständniserklärung zur Auflösung? Wenn sie es so bedachte, hatte Paolo diese Partnerschaft seinerseits beendet. Was hielt sie also davon ab, diesen Schritt zu akzeptieren und geltend zu machen?
»Paolo?«, fragte sie plötzlich und schrak vor ihrer eigenen Stimme zurück. Wollte sie das wirklich? Diese Frage schwirrte unablässig in ihrem Kopf herum.
»Ich schaue gerade fern«, antwortete er, ohne seinen Blick vom Bildschirm zu nehmen.
Resigniert dachte sie an die Zeit, da er nur Augen für sie gehabt hatte. »Vielleicht habe ich aber etwas zu sagen, das dich interessieren könnte - oder sollte.«
Augenblicklich erlosch der Fernseher und Paolos Augen taxierten sie. Der Blick hatte etwas Animalisches, durchfuhr es Selma. Irgendwie wurde sie das Gefühl nicht los, in die Opferrolle gedrängt zu werden.
»Worüber willst du mit mir reden?«, fragte er. Seine Stimme klang plötzlich vollkommen anders. Sanft und schutzbedürftig. Und mit einem Mal sah sie wieder das Kind in ihm.
»Ich wollte mit dir über unsere ...«
Es klingelte. Verdammt, dachte Selma, nicht ausgerechnet jetzt!
»Wer kann das sein?«, fragte Paolo überrascht.
Selma sah ihn noch einen Moment an. Sie glaubte Erleichterung in seinen Augen zu lesen. Die Störung kam ihm wohl ganz recht. Das verschaffte ihm Zeit. Aber konnte er wirklich schon etwas ahnen? Selma trennte sich schließlich von seinem Anblick und ging ohne ein weiteres Wort zur Tür. Noch bevor sie öffnete, wusste sie bereits, dass sie sich ab sofort über andere Probleme Gedanken machen musste. Kurz dachte sie an Merlin. Ja, da steckten auch irgendwo Probleme, aber ... Sie zog die Tür auf und sah in Davids panisches Gesicht.
»Komm rein!«, sagte sie und zerrte den Jungen über die Schwelle. »Sie müssen ja nicht unbedingt sehen, wo du bist, oder?«
»Das - das können sie sich denken«, sagte David.
»Willst du einen Tee?«, fragte sie und ging in die Küche. Wie erwartet, schüttelte David den Kopf. Selma grinste. Was hatten die Jungs eigentlich alle gegen Tee?
»Er wird dich beruhigen«, sagte sie und nickte ihm zu. »Und ich kann auch etwas Ruhe vertragen, glaub mir.«
»Schon wieder Besuch?«, fragte Paolo, der sich an David vorbei in die Küche schob.
»Ja«, sagte Selma und warf ihrem Freund einen warnenden Blick zu. »Ich habe David zum Tee eingeladen und er wird warten, bis Merlin zurück ist.«
David wollte widersprechen. Selma richtete drohend ihren Finger auf ihn und sagte: »Das wirst du!«
»Da wird sich Merlin sicher freuen«, warf Paolo hölzern ein. Seine Stimme klang wie eine Nagelpfeile die man sich durch die zusammengebissenen Zähne zog.
Selma sah ihn giftig an. Sie konnte nicht verstehen, weshalb sich Paolo dem Jungen gegenüber immer so abweisend verhielt. Eigentlich wollte sie etwas erwidern, wandte sich aber im letzten Moment doch noch mal David zu.
»Geh doch schon mal hoch in Merlins Zimmer und mach es dir gemütlich. Ich komme
Weitere Kostenlose Bücher