Das Meer in seinen Augen (German Edition)
Flüsterstimme.
»Ja«, antwortete David. Die Aufregung schoss wieder in ihm hoch, als er an die Szene ihm Wohnzimmer dachte. Die weit aufgerissenen Augen seiner Mutter sahen ihm von den Innenseiten seiner Lider entgegen.
»Willst du drüber sprechen, oder soll ich dich allein lassen?« Sie zog ihre Hand zurück.
David schwieg eine Weile. Er wusste nicht, ob er wirklich über die Sache reden wollte. Aber wenn nicht Selma, wem sollte er es sonst sagen? Er drehte sich um und sah sie an.
»Sie verstehen es nicht«, sagte er. »Und sie werden es nie verstehen, weil sie einfach - zu alt sind.«
Selma lächelte. »Das hat damit nichts zu tun. Ich bin auch nicht viel jünger.«
»Aber bei dir ist das was anderes.« Wieder ertappte David sich bei dem Wunsch, lieber Selmas Sohn zu sein.
»Ich glaube, jede Mutter wünscht sich für ihren Sohn, dass er nicht schwul ist«, sagte sie sanft. »Wenn ich ehrlich bin, kann ich mich da nicht ausschließen.«
David machte große Augen.
»Ja was?«, fragte sie und lachte. »Glaubst du etwa, dass ich damals gehofft habe, Merlin würde mal auf Jungs stehen?« Sie schüttelte den Kopf. »Nein. Da bin ich wohl wie alle anderen Mütter. Ich habe mir auch so meine Gedanken gemacht und Luftschlösser gebaut. Weißt du, irgendwie will man doch wissen, dass die Familie weitergeführt wird. Enkelkinder gehören einfach dazu. Und dann wünscht man sich eine nette Frau an die Seite seines Sohnes, mit der man sich gut versteht, mit der man reden kann und einkaufen gehen und all sowas. Man denkt an die Hochzeit und was weiß ich noch ...«
In ihrem Blick spiegelte sich plötzlich all die Trauer über diese verpassten Möglichkeiten. Davids Brust wurde eng. Niemals hätte er gedacht, dass Selma - dass sie so normal sein könnte.
»Der einzige Unterschied zu anderen Müttern ist wahrscheinlich, dass ich offener bin und Dinge so nehme, wie sie kommen. Ich muss nichts verbiegen, damit es für mich passt.« Sie grinste. »Ich habe schon früh bemerkt, dass Merlin anders ist. Ich hatte Zeit, mich von all den Mutterwünschen zu verabschieden. Und ich bin mir sicher, dass auch deine Mutter es schon gewusst hat.«
David sah sie verwirrt an. »Nein«, sagte er. »Bestimmt nicht.«
»Doch«, widersprach Selma. »Sie wollte es nur nicht wahrhaben, weil sie eben nicht von ihren Träumen lassen wollte. Kinder werden einem geschenkt, man kann sie sich nicht aussuchen. Sie haben ihr eigenes Schicksal, das wir Mütter nicht unbegrenzt beeinflussen können. Und wenn manche es doch versuchen, kommt meist noch etwas Schlimmeres dabei raus.«
David dachte über Selmas Worte nach. Irgendwie war es ihm unangenehm, aber er musste sich eingestehen, dass es genügend Situationen in seinem Leben gegeben hatte, an denen man es hätte merken können. Seltsamerweise hatten seine Eltern diese immer übersehen. Verdammt, er hatte sich als Kind gern die Kleider seiner Mutter angezogen und war damit durchs Haus spaziert. Plötzlich musste er lachen. Selma sah ihn überrascht an.
»Nichts«, sagte er, als hätte sie ihn gefragt, ob er etwas gesagt hatte. Dann war er unvermittelt wieder ernst. Das Lachen brannte ihm noch im Hals, als hätte er Säure geschluckt.
»Ich möchte einfach nur, dass du verstehst, dass es noch eine andere Seite gibt, als deine.« Selma sah ihn liebevoll an und streichelte ihm über die Wange. »Es ist nicht nur für dich schwierig, sondern auch für deine Eltern. Vielleicht bin ich manchmal ein wenig zu - ruppig, wenn es darum geht, dass Eltern ihre Kinder nicht so nehmen, wie sie nun mal sind.« Sie blinzelte. »Im Gegensatz zu dir hatten sie schon ein wenig Zeit, Erfahrungen zu sammeln und sich auf das Leben vorzubereiten. Trotzdem sind sie letztlich auch nur Menschen mit Gefühlen. Und Enttäuschungen tun eben weh, egal wie alt man ist.« Jetzt rann Selma eine Träne die Wange hinunter und sie drehte den Kopf weg.
David richtete sich ein wenig auf. Mühsam hielt er die eigenen Tränen zurück. Das wäre dann doch ein wenig zu viel, wenn er jetzt losflennen und sie sich am Ende noch beide in den Armen liegen würden, um sich gegenseitig Trost zu spenden. Aber war das wirklich so verkehrt? Vorsichtig legte er seine Hand auf ihre Schulter.
»Ich bin froh, dass Merlin dich hat«, sagte sie und legte ihre Hand auf seine. »Irgendwann will man als Mutter nur, dass das Kind glücklich wird. Und ich weiß, dass er das mit dir sein kann.«
David schluckte. »Was macht dich da so sicher?«, fragte
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