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Das Meer in seinen Augen (German Edition)

Das Meer in seinen Augen (German Edition)

Titel: Das Meer in seinen Augen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L.B. Roth
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einen sehnsüchtigen Blick die Treppe hinauf. Unmöglich, da ungehört hinaufzukommen. Dafür war der Fernseher viel zu leise. Damit ihr auch nicht entging, wenn er wieder nach Hause kam. Er blieb einige Minuten in seinen verschwitzten Sportklamotten im Flur stehen und lauschte angestrengt. Aber seine Eltern schienen sich kein Stück zu rühren. Fast machte es den Eindruck, als wären sie überhaupt nicht da. Trügerisch. Kurz dachte er darüber nach, einfach wieder rauszuschleichen und rüberzugehen. Selma hätte sicher nichts dagegen. Sie hatte ihm allein auf dem kurzen Weg vom Fitnesscenter bis hier her sicher fünf Mal gesagt, dass er jederzeit willkommen war. Aber durfte er das Angebot auch wirklich so schnell einlösen? Selma war außergewöhnlich, ganz klar, aber sie war immer noch Merlins Mutter und irgendwie schien es David nicht richtig, sich mit ihr zu befreunden. Andererseits sah die Alternative alles andere als rosig aus. Vorsichtig schlich er wieder zur Tür zurück. Doch gerade als er die Hand auf die Klinke legte, hörte er Bewegungen im Wohnzimmer. Jemand stand auf. Schritte. Schnell drehte sich David um und tat so, als wäre er jetzt gerade erst reingekommen.
    »David«, sagte seine Mutter überrascht. »Was schleichst du dich denn so hier rein?«
    »Ähm - ich schleiche nicht«, sagte er, wusste aber sofort, wie kläglich diese Aussage in den Ohren seiner Mutter klingen musste. Da konnte er gleich behaupten, dass er überhaupt nicht draußen gewesen war.
    »Gut«, sagte seine Mutter. »Dein Vater und ich, wir möchten gern mit dir reden.« Ihre Stimme klang bestimmt.
    David wurde schlecht. Natürlich wollten sie mit ihm reden. Das war ihm doch schon längst klar. Aber so wie seine Mutter das aussprach, konnte er sich auf einiges gefasst machen. Sie wirkte so - kalt.
    »Kann ich - kann ich vorher noch duschen?«, fragte er.
    »Komm danach bitte runter«, sagte sie nur und verschwand wieder.
    David beeilte sich, die Treppe hinaufzukommen. Als er in seinem Zimmer war, schloss er schnell die Tür und setzte sich zuerst auf sein Bett. Krampfhaft überlegte er, ob seine Mutter sich tatsächlich nur wegen dieser Geschichte mit Selma so aufregte. Oder war da noch mehr? Wusste sie etwas? Plötzlich fiel ihm ein, dass Merlin gestern angerufen hatte. Er hatte zuerst mit ihr gesprochen. Und er war nach eigener Aussage betrunken gewesen. David legte den Kopf in den Nacken und atmete tief ein und aus. Hatte er vielleicht etwas Falsches gesagt? Er konnte es sich nicht vorstellen. Das würde Merlin sicher nicht passieren, auch wenn er etwas getrunken hatte, oder? Wieder stellte David fest, wie wenig er diesen Jungen eigentlich kannte. Nicht mal eine Woche! Im Grunde war es ihm nach so kurzer Zeit unmöglich zu behaupten, dass Merlin sein Freund war. Trotzdem glaubte er ihn schon gut zu kennen. Erstaunlich.
    Schwerfällig erhob er sich wieder. Seine Beine taten schon jetzt vom Sport weh. Nicht auszudenken, was er morgen für einen Muskelkater haben würde. Er zog sich aus und ließ die Sachen einfach auf den Boden fallen. Aufräumen konnte er später auch noch. Dann ging er mit Beinen wie aus Gummi ins Bad und stellte sich unter die Dusche. Das kalte Wasser hatte etwas Befreiendes. Ausgiebig seifte er sich ein und ließ sich anschließend noch länger berieseln.
    Was war, wenn seine Eltern tatsächlich schon Bescheid wussten? Die Frage tauchte immer wieder in seinem Kopf auf. Er konnte sich einfach nicht vorstellen, dass es gleich bei der Aussprache nur um die Sportgeschichte von heute morgen gehen würde. Irgendwie gelangte er immer mehr zu der Überzeugung, dass sein Geheimnis aufgeflogen war. Seltsam schien ihm daran, dass er sich gar nicht so schlecht dabei fühlte - zumindest jetzt nicht, da er noch hier unter der Brause stehen konnte. Dann würde er gleich einfach runter gehen und sich das Theater seiner Eltern anhören. Wie Selma es ihm geraten hatte, würde er immer wieder völlig ruhig erklären, dass es ganz normal war und dass er sich nunmal in Merlin verliebt hatte, dass er aber trotzdem noch ihr Sohn blieb und noch der Gleiche wie zuvor war. Das ließ sich bestimmt einfacher denken als in die Tat umzusetzen, aber letztlich schien es ihm gar nicht mehr eine so große Last zu sein. Im Grunde machte es einen überaus vernünftigen Eindruck. Es war ein Stück weit wie ein Zahnarztbesuch: Vorher machte man sich ungeheuere Angst, indem man sich die schlimmsten Sachen vorstellte. Die Zeit auf dem

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