Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Meer in seinen Augen (German Edition)

Das Meer in seinen Augen (German Edition)

Titel: Das Meer in seinen Augen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L.B. Roth
Vom Netzwerk:
Probleme konnte sie auch morgen noch besprechen - oder heute Abend. Sie schüttelte sofort den Kopf - morgen! Entschlossen lief sie nach oben, um sich frisch zu machen. In Gedanken ging sie schon ihre Garderobe durch. Sie konnte sich seit dem Grillabend denken, wie viel Wert Davids Mutter auf Äußeres und Etikette legte. Sicher wäre es hilfreich, etwas konservativer als üblich aufzutreten. Vielleicht würde es ihr ja sogar gelingen, sie zu einem Frühstück zu überreden - natürlich mit hausgemachtem Tee.
    Als sie eine gute Stunde später mit einer heißen Kanne vor der Tür stand und niemand auf ihr Klingeln reagierte, befürchtete sie schon, dass ihr Plan bereits in den Ansätzen scheiterte. Doch eine Weile nach dem zweiten Klingeln öffnete sich die Haustür einen Spalt und Hanne schaute sie finster an. Ihre Augen waren gerötet.
    »Bitte«, sagte sie unfreundlich.
    »Ich dachte, wir könnten vielleicht ...« Selma stoppte. Nein, ein Versöhnungstee war sicher nicht der geeignete Vorschlag. An Hannes Gesicht las sie ab, dass sie noch eine Stufe weiter runter musste. »Also«, fing sie noch mal neu an, »eigentlich wollte ich mich entschuldigen.«
    Hannes Miene blieb hart, aber Selma sah in ihren Augen, dass die Worte wirkten. Schon jetzt wusste sie, dass sie gewonnen hatte. Und in der Tat öffnete Hanne nach einem Moment des stummen Anschauens die Tür und nickte ihr steif zu. Selma unterdrückte ein Lächeln. Sie musste die Sache mit Fingerspitzengefühl angehen, wenn sie erreichen wollte, was sie sich vorgenommen hatte.
    Hanne sah sie steif an. »Tee?«, fragte sie und deutete auf die Kanne.
    »Ja«, antwortete Selma.
    »Der von letzter Woche war gut.« Hanne drehte sich um und besorgte Tassen. »Wir setzen uns auf die Terasse.«
    Selma ging bedächtig vor. Bis jetzt war es ein Kinderspiel gewesen. Aber sie ahnte schon, dass es kein Geschenk war. Da steckte irgendwas hinter. Fast machte es den Eindruck, als hätte Hanne schon auf sie gewartet. An der Schwelle nach draußen blieb sie kurz stehen, damit Hanne zuerst Platz nehmen konnte.
    Hanne nickte ihr zu und wies auf einen Stuhl. Dann stellte sie die Tassen auf den Tisch. Ihre Bewegungen wirkten seltsam steif. Als sie sich schließlich gegenübersaßen, schwiegen sie erst einen unendlichen Moment.
    »Wie lange ist dein Sohn schon so?«, fragte Hanne endlich.
    Selma war überrascht. Sie sprach das Thema also selbst an. »Meinst du, wie lange er schon schwul ist?«
    »Ich hasse dieses Wort«, sagte Hanne und lächelte abfällig. »Es klingt schmutzig.«
    »Also ist es doch genau das richtige Wort, oder?«, fragte Selma und fürchtete, ein wenig zu forsch voranzustoßen.
    »Ja«, stimmte Hanne sofort zu. »Das ist es wohl.« Sie schien etwas zu überlegen, dann entschied sie sich aber, es doch nicht auszusprechen.
    »Ich habe es sehr früh gewusst«, antwortete Selma schließlich auf die eigentliche Frage. »Merlin war schon immer ein wenig anders als andere Jungen in seinem Alter.«
    »Und du hast nichts unternommen?« Hanne sah sie ungläubig an.
    »Hätte ich ihm verbieten sollen, mit Mädchen zu spielen?«
    »Wenn es etwas gebracht hätte, warum nicht?«
    Selma schlug die Augen nieder. Sie wusste jetzt, dass Hanne mit jemanden reden wollte, der im gleichen Boot saß. Das war die einzige Verbindung zwischen ihnen. Also wollte sie ihr zeigen, dass auch sie nicht völlig ohne Verluste geblieben war.
    »Es hätte nichts gebracht«, flüsterte sie. Dann sah sie wieder auf. »Ich hätte ihn gezwungen, jemand anderes zu sein, und er hätte es mir zuliebe versucht. Aber letztlich wäre er derselbe geblieben, nur dass er es immer vor mir versteckt hätte, um mich nicht zu verletzen.« Selma zog die Augenbrauen zusammen. »Das wäre wohl das günstigste Ergebnis gewesen.«
    Hanne schluckte.
    »Nein, ich will meinen eigenen Sohn nicht vor mir selbst verleugnen«, fuhr Selma fort. »Ich will lediglich, dass er glücklich ist. Aber was Glück für ihn bedeutet, das muss er selbst entscheiden.«
    »Ich verstehe das nicht«, sagte Hanne plötzlich energisch. Sie hatte Tränen in den Augen. »Bis jetzt war alles in Ordnung!« Sie ballte ihre Fäuste, dass die Knöchel weiß hervorstachen.
    Selma ahnte, worauf es jetzt hinauslief. Das war der eigentliche Grund, weshalb sie hatte reinkommen dürfen. Aber sie hatte ihr Ass bereits ausgespielt und sie wusste, dass es wirken würde - wenn nicht sofort, dann gewiss später.
    »David ist nicht so einer!«, presste Hanne hervor.

Weitere Kostenlose Bücher