Das Meer in seinen Augen (German Edition)
siehst wieder Probleme, wo überhaupt keine sind«, sagte Merlin.
»Aber kam euch das denn nicht komisch vor, mit welcher Sorgfalt er seine Worte gewählt und wie schnell er am Ende umgeschwenkt hat? David, sag auch mal was dazu!«
David wurde rot. »Ich - ich fand es eigentlich nicht schlimm. Also nicht wirklich. Ich meine, er hat das bestimmt nicht mit Absicht gesagt.«
Linda schnaubte. »Na gut. Ist ja euer Ding«, sagte sie und wirkte fast enttäuscht. »Wenigstens klappt's jetzt endlich bei euch. War ja kaum auszuhalten.«
»Linda, eigentlich wollen wir das nicht so an die große Glocke hängen«, sagte Merlin leise.
»Ja, ja, ich weiß, alles muss geheim bleiben«, antwortete sie und machte eine alberne Geste. Aber es war zu spät.
»Hi«, sagte Jan, der Klassensprecher und stellte sich grinsend in die Runde. »Alles fit?«
»Was ist bei dir denn kaputt gegangen?«, fragte Linda. »Sonst kommst du doch auch nicht so angeschleimt.«
»Was soll das denn heißen?« Jan tat unschuldig.
»Ach, vergiss es.« Linda wandte sich wieder Merlin zu und fragte etwas, das David schon nicht mehr richtig mitbekam. Er war plötzlich wieder in seinen Gedanken versunken. Irgendwie spürte er, dass mit Jan was nicht stimmte. Wieso kam der Typ ausgerechnet jetzt auf sie zu und stellte sich mit in die Runde? Plötzlich gesellten sich noch ein paar andere zu ihnen. Als David geistig wieder auftauchte, waren sie eine richtige Gruppe. Dann ließ Jan plötzlich seine Bombe fallen: »Also ich mag Schwule nicht.«
Sofort war Linda zur Stelle. »Ach, kennst du so viele?«
»Nein«, sagte Jan und grinste dümmlich, »aber ...«
»Wie kannst du dann sagen, dass du sie nicht magst?«, fragte Linda vorwurfsvoll.
»Weil ich das widerlich finde!« Jan holte schnell Luft und sprach sofort weiter, damit Linda keine Gelegenheit hatte, ihm ins Wort zu fallen. »Ich meine, ich habe ja nix gegen die, aber ich wollte nur sagen, dass ich es nicht gut finde. Meine Meinung.«
»Und wer hat dich nach deiner Meinung gefragt?«, fragte Linda spitz.
Auf Jans Gesicht spiegelte sich die Erkenntnis, dass er gegen Linda keine Chance hatte, und alle anderen hielten sich zurück. Er schien darauf zu warten, dass ihm jemand zur Seite stand. Aber das passierte nicht.
»Du solltest dir wenigstens manchmal Gedanken machen, bevor du so eine gequirlte Scheiße ablässt«, sagte Linda wütend. »Ich meine, wenn du im Unterricht schon immer nur nachlaberst, was andere dir vorkauen, kannst du doch wenigstens in den Pausen mal ein oder zwei von deinen drei Zellen einschalten, die für deinen unterbelichteten Verstand zuständig sind, oder?«
»Warum ist es denn so schlimm, wenn ich eine eigene Meinung dazu habe?«, fragte Jan und fühlte sich mit dieser Frage sichtlich überlegen. »Ich meine, ich akzeptiere deine Meinung über Schwule doch auch. Ich mag es halt nicht, wenn ich in deren Nähe bin. Wenn ich daran denke, dass die sich küssen, könnt ich kotzen.«
Linda holte gerade Luft, aber Merlin kam ihr zuvor: »Hast du schon mal was davon gehört, dass Schwule sich untereinander erkennen können?«
Jan sah ihn verdutzt an. Nur Linda schien zu verstehen, schluckte ihre Worte runter und setze ein hämisches Grinsen auf.
»Von allen Jungs aus der Klasse siehst du mit Abstand am schwulsten aus«, sagte Merlin laut. »Meine Meinung.«
»Und wer hat dich nach deiner Meinung gefragt?«, äffte Jan Lindas Worte von gerade nach.
»Niemand. Ich als Schwuler fühle mich einfach nur qualifiziert, das mal so in den Raum zu stellen. Mit sowas kennst du dich ja auch gut aus. Scheint wohl so eine Schwulenkrankheit zu sein.« Merlin lächelte Jan kokett an.
»Schwuchtel!«, sagte Jan, drehte sich um und ging.
»Was für ein Spinner!«, regte sich Linda auf. »Ich könnte dem echt eine knallen. Wie kann man nur so saudumm sein? Man, was tut mir der Kerl leid! Ich fasse es echt nicht, dass so einer auch noch Klassensprecher werden konnte. Wir sollten echt über eine Neuwahl nachdenken.«
»Hey, komm mal wieder auf den Teppich!«, sagte Merlin. »Lass ihm doch seine Meinung. Ich hatte nicht vor, mit ihm zum Abschlussball zu gehen.«
Die anderen, die noch in der Gruppe standen, lachten. Einer nickte Merlin zu.
»Also ich find das super mit euch«, sagte ein Mädchen.
Dann löste sich die Gruppe langsam auf. Als es klingelte, fühlte David, wie sich Merlins Hand in seine schob. Er unternahm nichts dagegen. Vielleicht hatte Merlin recht und die Aufregung würde sich
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