Das Meer in seinen Augen (German Edition)
hinauslief, ob sich ihre Beziehung noch lohnte, oder nicht. Jetzt, in diesem Moment, hatte er die Möglichkeit, alles zu beenden und noch mal umzudenken. Christian kam ihm wieder in den Sinn und auch Paolo. Wieviel einfacher alles doch würde, wenn er nicht mehr David verpflichtet wäre. Aber es tat dennoch weh, sich vorstellen zu müssen, dass er seine Gefühle nun verleugnete, nur um ... Ja, was eigentlich? Um David zu schützen? Stimmte das überhaupt? Plötzlich schämte er sich für diese Gedanken. Nein, das würde er nicht David zuliebe tun, sondern völlig selbstsüchtig für sich. Für ihn wäre es einfacher. Er hätte eine schwierige Komponente weniger in diesem Spiel. Aber das würde auch einen Mitstreiter kosten. Er atmete tief durch. Das alles war viel zu viel auf einmal. Wie sollte er jetzt in diesen Sekunden nur sämtliche Möglichkeiten bedenken? Im Grunde war es doch absolut unmöglich, jetzt aus dem Stehgreif eine richtige Antwort zu finden. Und je länger er schwieg, desto schwieriger fiel ihm das Denken. Er traute sich kaum, David in die Augen zu sehen. Er hatte Angst, in ihnen Enttäuschung zu finden. Angespannt lauschte er dem ruhigen Atmen. Auf nichts anderes konnte er sich mehr konzentrieren.
»Also - nicht«, sagte David schließlich leise.
91
Eigentlich wollte David mit dieser Feststellung zumindest eine Reaktion provozieren. Doch Merlin blieb einfach so sitzen, den Kopf nach unten, völlig bewegungslos. David spürte, wie sein Herz höher rutschte und nun in seinem Hals wild zu pochen begann. Er hatte nicht damit gerechnet, dass er überhaupt keine Antwort erhalten würde. Irgendwie enttäuschte ihn das noch mehr. Aber er versuchte sich zu beruhigen. Vielleicht setzte er Merlin nur zu sehr unter Druck. Vielleicht war es am Besten, wenn er ihn erst mal die ganze Sache verdauen ließ.
»Du hast mich von Anfang an beobachtet, oder?«, fragte Merlin plötzlich, ohne sich zu rühren.
»Ja«, sagte David nach einer Weile.
»Ich hatte so ein komisches Gefühl.« Merlin sah ihn an. »Manchmal dachte ich, nicht allein zu sein, so als ob mir jemand über die Schulter schauen würde.«
David wurde rot. Er fand es unangenehm, dass er sich in dieser Hinsicht vor Merlin offenbaren musste. Aber letztlich waren damit die Waagschalen noch lange nicht ausgeglichen.
»Ich fand es nicht unangenehm«, gestand Merlin überraschend.
David sah ihn unsicher an.
»Ich kann das nicht so richtig beschreiben.« Merlin sah ihn mit seinen tiefen, blauen Augen an. »Aber es war eher eine unbestimmte Ahnung.«
David nickte. Nach einiger Zeit gestand er: »Seit dem ersten Tag.« Das war alles, was er sagen konnte.
Merlin lächelte. »Also hast du alles schon vorher gewusst - mit Paolo. Darum bist du auch so komisch gewesen an unserem Grillabend.«
Jetzt musste auch David grinsen. »Mann, das war ein Schock!« Er wurde aber sofort wieder ernst. »Ich wusste also, was mich erwartete.«
Merlin ließ sich nach hinten fallen und blieb auf dem Rücken liegen. »Ich hab mir ganz schön Vorwürfe gemacht«, sagte er leise.
Langsam ließen die Fluchtgedanken nach und David legte sich neben Merlin. Es hatte etwas Beruhigendes, so wie sie da nebeneinanderlagen.
Nach einer Weile sagte David: »Du hast noch nicht auf meine Frage geantwortet.« Er befürchtete schon fast, dass Merlin gar nicht mehr wusste, um welche Frage es ging, aber diese Befürchtung erwies sich als unbegründet. Merlin wusste sofort was er meinte.
»Ich weiß nicht, was ich antworten soll«, sagte er.
»Warum?«
»Ich kann mich nicht entscheiden, ob ich die Wahrheit sagen soll oder lieber das, was mir am Besten erscheint.«
»Jetzt will ich beides hören. Die Wahrheit zuerst.« David drehte sich Merlin zu und stützte seinen Kopf auf den Ellbogen auf.
»Die Wahrheit ist: Ja«, flüsterte Merlin und schloss die Augen.
David spürte wie ihn eine Woge der Erleichterung erfasste. Sie standen immer noch auf der gleichen Seite.
»Aber ich weiß im Moment einfach nicht so richtig, was ich denken soll.« Er machte eine Pause. »Es ist dir gegenüber einfach nicht fair.«
In David zog sich alles zusammen. Er ahnte bereits, was jetzt kommen musste, und das wollte er absolut nicht hören.
»Ich - ich komme damit schon klar«, sagte er schnell. Wenn er seine Wut von vorhin bedachte, kamen ihm diese Worte wie der absolute Hohn vor. Aber plötzlich zählte nicht mehr der Betrug, sondern allein die Angst vor dem Verlassenwerden. Mit einem Mal war er
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