Das Meer in seinen Augen (German Edition)
Angst.«
David schluckte. Ja, er hatte Angst. Auf eine unbestimmbare Art fürchtete er sich davor, mit diesem Mann in einem geschlossenen Raum zu sein. Wieder legte sich Paolos Hand auf seine Schulter.
»Warum hast du Angst vor mir?« Seine Stimme war tief und einschmeichelnd.
»Ich - ich weiß nicht«, stammelte David und wich einen Schritt zurück. Er spürte die Wand in seinem Rücken.
»Doch, ich glaube schon, dass du es weißt«, sagte Paolo sanft und rückte wieder an ihn heran. Seine Hand striff Davids Brust und glitt über dessen Flanke zur Hüfte.
David zitterte. Aber zu seinem Entsetzen war es nicht nur die Furcht, die ihn beben ließ. Überdeutlich nahm er Paolos Hände wahr, die ihn an den Hüften hielten und gegen die Wand drückten. Niemand konnte sie hier drin sehen. Sein Vater hatte eine Besprechung. Trotzdem, es war jederzeit möglich, dass jemand hereinkam und sie sah.
Paolo bemerkte Davids ängstlichen Blick auf die Tür. Er lächelte. »Wenn diese Tür geschlossen ist, wird keiner reinkommen. Das traut sich niemand, nicht mal dein Vater.«
Die Worte hallten in Davids Kopf nach. Wieder verspürte er den Wunsch, sich loszureißen und davonzurennen. Er hasste es, wie Paolo seinen Vater kleinredete. Aber die Hände, die sich langsam unter sein Shirt schoben, hielten ihn gefangen.
»Und? Liebst du Merlin?«, flüsterte Paolo ihm zu. Seine Augen schienen in diesem Moment vollkommen schwarz.
David zog scharf die Luft ein. Die Frage verbrannte ihn. Er zuckte, wollte sich von Paolo losmachen. Doch mehr als ein hilfloses Winden brachte er nicht zustande.
»Ja«, presste er schließlich hervor.
»Aber du weißt, dass ich mit ihm schlafe.« Paolo lächelte ihn überlegen an. Seine Fingerkuppen strichen über Davids Brustwarzen. »Und trotzdem liebst du ihn?«
David verzog das Gesicht. Er wünschte sich, er könnte jetzt in diesem Moment unbewegt zustimmen, doch die Frage schmerzte ihm zu sehr, als dass er sich beherrschen konnte.
»Du fragst dich bestimmt«, hauchte Paolo ihm ins Ohr, »weshalb Merlin dir nicht treu sein kann, oder?«
David kniff die Augen zusammen. Tränen ihm über die Wangen. Dann spürte er Paolos Zunge, die sich in seine Ohrmuschel schob. Unter den geschlossenen Lidern verdrehte er die Augen. Mit einem Mal schien sein Körper zu schweben und er wusste, dass er nichts anderes wollte, als hier und jetzt mit Paolo zu schlafen. In diesem Moment machte alles plötzlich Sinn. Merlin hatte ihm nicht widerstehen können, warum sollte dann er?
101
»Ich kann das ja immer noch nicht fassen«, sagte Linda, als sie noch mal vor dem Schultor stehen blieben, um sich zu verabschieden. »Du verarschst mich wirklich nicht, oder?«
Merlin atmete tief ein und ließ die Luft langsam wieder entweichen. Wie sehr wünschte er sich, das alles wäre wirklich nur eine Verarsche. Aber leider war es nicht so. Es war die Wirklichkeit. Also schüttelte er den Kopf.
Linda sah ihn mitleidig an. »Bring das in Ordnung.«
Das hatte sie ihm in den letzten Schulstunden immer und immer wieder gesagt. Merlin wusste, dass er sie mit diesem Geständnis enttäuscht hatte. Für sie war er bislang der perfekte Mann gewesen. Doch jetzt war er nur noch einer von vielen Fremdgängern. Dabei hatte er ihr nicht mal seine ganze Geschichte erzählen können.
»Wenn du mich nicht verarschst, bring das in Ordnung.« Sie sah ihn eindringlich an. »Und falls das doch ein Scherz ist, kannst du was erleben!« Ihr Gesicht hatte allerdings jeglichen Zweifel verloren. »Ich finde das wirklich Scheiße!«, sagte sie noch, drehte sich um und ging.
Merlin blieb noch eine Weile wie betäubt stehen. Linda musste ihren Bus erwischen, deshalb war sie so kurz angebunden, das war alles. Oder war sie tatsächlich sauer? So ganz genau wusste er das nicht, immerhin hatte sie in den letzten Stunden mehrfach den Eindruck vermittelt, dass sie ihm kein Wort glaubte. Letztlich blieb aber das dumpfe Gefühl, dass er Linda nicht auf seiner Seite hatte. Sie hielt natürlich zu den Betrogenen, auch wenn er ihr bester Freund war. Das hatte er sich zwar schon längst gedacht, trotzdem tat es weh, so ganz ohne Verbündeten dazustehen. Er hatte sich Linda endlich anvertraut und am Ende wusste er nicht mal, ob sie ihm überhaupt glaubte oder einfach nur gegen ihn war, weil er sich ihrer Meinung nach wie der typische Klischeemacho verhalten hatte. Als wenn er es sich ausgesucht hätte, David zu betrügen - und seine Mutter.
Gedankenverlohren ging
Weitere Kostenlose Bücher