Das Meer in seinen Augen (German Edition)
auf den Abschnitt in der Tür, den Merlin bis gerade ausgefüllt hatte. Dann vernahm er wieder die Geräusche aus dem Nebenzimmer. Wie hatte er nur denken können, dass Paolo sich noch im Haus aufhielt? Plötzlich wurde ihm heiß, obwohl alles schon geschehen war. Wenn er nur einen Moment nachgedacht hätte und nicht sofort schlaftrunken aus dem Zimmer gelaufen wäre, dann hätte sich diese Situation sicherlich vermeiden lassen. Merlin war offenbar nicht auf die Idee gekommen, dass sich jemand außer ihm im Haus aufhielt. Aber was hätte das letztlich gebracht? David wäre liegen geblieben und hätte sich nicht rühren können, bis Merlin schließlich wieder gegangen wäre. Gut, Merlin hätte nichts von dem Betrug erfahren, aber eigentlich änderte das auch nichts. Ihre Beziehung hatte keine Zukunft. Am Ende spielte es keine Rolle mehr, ob er sich noch Mühe gab, Merlin zurückzuhalten oder nicht. Die Sache war gelaufen. Und dennoch hätte David im Nachhinein gern darauf verzichtet, seinem Freund wehzutun.
Plötzlich hörte er unten die Haustüre. Im ersten Moment dachte David, dass Merlin vielleicht das Haus verließ. Doch dann fiel ihm ein, dass er die Treppe nicht gehört hatte. Im Nebenzimmer war es still. David schluckte. Entweder kam Selma nun auch noch, oder aber Paolo war es wieder langweilig geworden auf der Arbeit. Dann polterte jemand die Treppe hinauf. Davids Atem setzte aus. Wie versteinert lag er auf dem Bett und wartete. Kurz darauf erschien Paolo in der Tür.
»Na? Lust auf eine kleine Runde?«, rief er ausgelassen.
David schloss die Augen und wünschte sich weit weg. Doch sein Wunsch wurde nicht erhört. Dafür hörte er Merlin.
»Du Schwein!«, drang Merlins Stimme an sein Ohr. »Warum hast du das gemacht?«
Paolo lachte.
Das Bett unter David begann sich plötzlich zu drehen. Immer wieder hörte er Merlin Schimpfwörter schreien und dazwischen Paolos Lachen. Wenn er nur lange genug die Augen zuhielt, dachte David, würde sich am Ende alles als böser Traum herausstellen. Paolo würde sagen, dass ja alles nur ein Scherz war und Merlin käme zu ihm, um ihn zu umarmen. Aber nichts davon passierte. Stattdessen tauchte David langsam wieder in eine Realität auf, die ihm absolut nicht gefiel.
Er öffnete die Augen und sah Merlin, wie er versuchte, auf Paolo einzuschlagen. Doch der hielt ihn mühelos von sich weg und lachte dabei. David war hin- und hergerissen. Einerseits wollte er seinem Freund helfen und mit ihm zusammen auf Paolo einschlagen - schließlich war der an allem Schuld. Er wollte diesem Kerl das fiese Lachen aus dem Gesicht prügeln. Auf der anderen Seite fühlte er sich mit der Situation einfach überfordert. Irgendwie wurde er das Gefühl nicht los, dass alles ein wenig zu überspitzt bei ihm ankam. Warum wollte Merlin auf Paolo einschlagen? Warum lachte dieser?
»Ruhe!«, schrie er schließlich und war überrascht, dass Merlin tatsächlich mit seinen Angriffen auf Paolo aufhörte. Sogar Paolo sah ihn an. Es war, als hätte er die Szenerie einfach so angehalten.
»Ja?«, fragte Paolo.
David fiel nichts ein, was er sagen konnte. Einen Moment verharrten sie alle in ihren Positionen. Dann riss sich Merlin schließlich los und stürmte die Treppe hinunter. Das Geräusch der zuschlagenden Tür hallte immer und immer wieder in Davids Kopf nach. Er wusste, dass er Merlin damit verloren hatte. Wahrscheinlich hatte er ihn damit auch zum letzten Mal gesehen. Tränen schossen ihm in die Augen.
»Nicht weinen«, sagte Paolo sanft und legte sich zu ihm aufs Bett.
David spürte eine Hand auf seinem Bauch. Ein leichtes Kribbeln breitete sich aus. Es war, als würde etwas in ihm bewegt. Er presste die Augenlider fest zusammen. Was auch immer mit ihm passierte wenn Paolo in seiner Nähe war, es schien genau das zu sein, was er brauchte. Die tröstende Hand auf seinem Bauch, der erste Kuss in seinem Büro. Alles war stets von einem Widerwillen begleitet, aber letztlich doch willkommen und - schön.
»Er war eifersüchtig«, sagte Paolo. »Merlin war immer schon eifersüchtig. Er kann es nicht vertragen, dass ich dich ausgewählt habe.«
David hörte diese Worte und entlarvte sie sofort als Lüge. Trotzdem spürte er, dass sie tief in ihn eindrangen und wirkten.
»Aus uns kann etwas werden.« Paolos Stimme war ein kaum hörbares Flüstern geworden. Fast schien es, als käme sie gar nicht von ihm, sondern hätte ihren Ursprung geradewegs in Davids Kopf. »Wir beide sind etwas
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