Das Meer in seinen Augen (German Edition)
Sachen?«, fragte sie.
»Ich muss nur - ich hole sie.« Merlin lief zum Hauseingang ohne eine Antwort abzuwarten. Seine Hände zitterten, als er die Tür aufschloss. Noch immer lag das Wohnzimmer im Dunklen. Auch hier hatte ein neues Leben begonnen. Er dachte kurz an David, der offenbar Teil dieser Veränderung war. Merlin konnte sich überhaupt nicht vorstellen, dass dieser schüchterne Junge tatsächlich mit Paolo geschlafen hatte. Dann schüttelte er den Gedanken ab. Das war Vergangenheit, jetzt ging es in die Zukunft. Eilig lief er die Treppe und begann, nach und nach alles nach unten zu tragen.
Als er sich knapp zehn Minuten später zum letzten Mal in seinem Zimmer umsah, überkam ihn wieder die Wehmut. Er dachte an die wunderbaren Augenblicke, die er hier erlebt hatte. Wie er die Jugendlichen unten im Park immer beobachtet hatte. Seine Abende, an denen er vollkommen zufrieden Gedichte schreiben konnte. Das war, bevor alles aus den Fugen geraten war. Dann fiel ihm aber ein, dass er auch schon zu dieser Zeit unter seiner Affäre mit Paolo gelitten hatte. Nein, dieser Schritt war richtig. Er musste nach Berlin.
Entschlossen zog er die Tür zu. Einen Moment blieb er stehen. Er war fertig hier, jetzt konnte er gehen und alles hinter sich lassen. Aber er ging nicht die Treppe hinunter, sondern auf das Schlafzimmer zu. Plötzlich war er sich vollkommen sicher, dass er David noch mal sehen würde, bevor er ging. Vorsichtig trat er an die Tür heran, bis das Bett langsam in Sicht kam. Und da lag David tatsächlich - mit geschlossenen Augen kerzengerade auf dem Rücken. Mit einem Mal waren all seine Gefühle wieder da. In diesem Augenblick hätte Merlin schreien können vor Wut und Trauer. Er wollte sich auf den Jungen werfen und ihn küssen. Ihn schütteln und im Arm halten und ... Merlin hatte plötzlich das Bedürfnis, noch etwas zu sagen bevor er ging. Etwas wie ›Ich liebe dich‹ oder ›Leb wohl‹ vielleicht. Er schluckte, als ihm klar wurde, dass es immer noch stimmte. Er liebte David. Das war der Grund, weshalb er nicht von hier fort wollte.
Nachdem er aber ein paar Minuten reglos und stumm dort gestanden hatte, gab Merlin auf. Er würde nichts sagen zum Abschied. Leise schob er sich wieder zurück und stieg die Treppe hinunter. Seine Schritte wurden immer schneller, bis er schließlich rannte. Fast panisch zog er die Haustür auf und lief hinaus.
Seine Mutter sah ihn fragend an, als er wie wild in den Wagen sprang.
»Fahr!«, rief Merlin. Dann drang ein Kichern in ihm hoch, das er nicht unterdrücken konnte. Und während Selma den Wagen drehte und die Straße hinunterfuhr, lachte Merlin richtiggehend.
»Kannst du mir mal erklären was los ist?«, fragte Selma nach einer Weile.
Merlin biss die Zähne aufeinander. Sein Lachanfall hatte sich mittlerweile verflüchtigt und wieder der Trübsal Platz gemacht.
»Ich weiß auch nicht«, sagte er schließlich. »Das ist alles irgendwie - zu viel.«
Selma nickte. »Für mich auch.«
Merlin fühlte das schlechte Gewissen in sich hochsteigen. Natürlich konnte es seiner Mutter kein Stück besser gehen, schließlich war sie diejenige, die betrogen worden war. Unangenehmes Schweigen machte sich breit.
»Willst du drüber reden?«, fragte sie.
Merlin hätte am liebsten verneint. Natürlich wollte er nicht über das reden, was sie gerade zurückließen. Aber er riss sich zusammen.
»Willst du denn?«, fragte er zurück.
»Was hat dir an Paolo gefallen?« Selma sah starr nach vorn.
Merlin schluckte. »Ich - ich weiß es gar nicht wirklich«, sagte Merlin. »Er sieht gut aus.«
»Das ist aber bitte nicht alles!«
Merlin zögerte. »Irgendwie - geht von ihm eine komische Magie aus.«
»Inwiefern?«
Lange Zeit fuhren sie schweigend weiter. Merlin war sich nicht sicher, ob er wirklich sagen sollte, was er dachte. Die Angst, dass sie ihm nicht glauben könnte ... Dann gab er sich aber einen Ruck.
»Ich wollte das alles gar nicht«, sagte er und klang tatsächlich so banal, wie er befürchtet hatte. Doch Selma reagierte nicht darauf.
»Es war, als hätte mich etwas dazu gezwungen, obwohl ich wusste, dass es absolut falsch war.«
Selma räusperte sich.
»Was?«, fragte Merlin.
»Ich habe Paolo als ehrlichen und vernünftigen Mann kennengelernt.« Sie lachte bitter auf. »Wenn ich mir die letzte Zeit noch mal so durch den Kopf gehen lasse, dann könnte man echt sagen, dass er sich um hundertachtzig Grad gedreht hat. Aber bemerkt habe ich es nicht. Seltsam,
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