Das Meer in seinen Augen (German Edition)
eine ganze Weile, bis er sich wieder beruhigt hatte. Kurz dachte er darüber nach, noch mal aufzustehen und einen Blick auf die andere Straßenseite zu werfen. Er wollte wissen, ob der Kerl sich anzog und mit seinem Mercedes wieder verschwand. Wie konnte sich Merlin nur sicher sein, dass seine Mutter nicht doch mal etwas vergaß oder früher wieder nach Hause kam? Der Drang, wieder an dem Geschehen in Merlins Leben teilzuhaben, ließ seine Beine zucken. Doch David blieb starr im Bett liegen. Er würde die Jalousie niemals wieder hochziehen können, ohne dass seine Mutter etwas davon mitbekam. Im Grunde war es ein Wunder, dass sie nicht wieder ins Zimmer platzte, als er sich geräuschvoll umdrehte und zu schlafen versuchte.
12
Merlin lag erschöpft auf seinem Bett. Sein Herz schlug immer noch schnell von der Anstrengung und zwischen seinen Pobacken fühlte es sich feucht an. Nebenan hörte er die Dusche. Seine Zimmertür war wieder geschlossen und auch die Anziehsachen, die nicht ihm gehörten, waren verschwunden. Eigentlich musste auch er duschen, um dieses klebrige Gefühl zwischen den Beinen los zu werden. Aber er hatte keine Lust auf eine Dusche zu zweit. Zudem war es zu gefährlich. Ein Blick auf die Uhr sagte ihm, dass seine Mutter bald wieder nach Hause kommen würde. Also legte er sich so wie er war unter die Bettdecke und löschte das Licht. Von draußen drang graues Licht in sein Zimmer und zeichnete die Konturen nach. Merlin atmete tief ein und aus. Er fühlte sich gut. Es war schön gewesen. Es hatte ihm gefallen und er wusste, dass er es wieder tun würde. Mit einem heftigen Ausatmen schloss er die Augen. Plötzlich sah er das Bild seiner Mutter vor sich, wie sie ihm sagte, dass er sich doch jemanden suchen sollte, mit dem er sein erstes Mal haben konnte. Nun, das hatte er, oder nicht? Vollkommen ohne Liebe, absolut unromantisch, nur Sex, mehr nicht. Trotzdem war es befriedigend, auch wenn Merlin danach lieber nicht allein einschlafen würde. Voller Schuldgefühl drehte er sich auf die Seite, die Bettdecke zwischen seinen Schenkeln eingeklemmt. Er wollte jetzt nicht länger darüber nachdenken. Viel lieber wollte er sich vorstellen, dass er das gerade Erlebte mit jemanden teilen konnte, den er liebte. Spontan fiel ihm sein neuer Nachbar David ein. Merlin malte sich aus, wie es wohl wäre, jetzt hier mit ihm zusammen im Bett zu liegen. Ob der Sex mit ihm genauso sein würde? Wahrscheinlich nicht. Merlin war sich ganz sicher, dass David noch nicht viel Erfahrung hatte. Eigentlich war das ein Thema, das er normalerweise heute Nachmittag mit Linda erörtert hätte. Sie wäre hundertprozentig über diese Spekulationen hergefallen wie ein ausgehungerter Wolf über den Hasen. Letztlich wäre aber nicht viel mehr dabei herumgekommen, als das, was Merlin sich auch ohne Linda dachte. David war noch Jungfrau, fertig. Als nächstes hätte Linda Davids mögliche Homosexualität unter die Lupe genommen. Dieses Thema schien für sie unausweichlich zu sein. Immer wenn sie einen Jungen für schwul hielt, musste sie darüber mit ihm diskutieren, ob er das nun auch so sah oder nicht. In diesem Fall hatte Merlin allerdings nicht die geringste Ahnung. Er hoffte es irgendwie. Aber warum? Wünschte er sich eine Beziehung mit David? Einfach so, nach dem ersten Tag? Der Romantiker Merlin und die Liebe auf den ersten Blick. Damit könnte seine Mutter ihn wieder aufziehen. Dabei glaubte Merlin absolut nicht daran, dass David ebenfalls schwul war. Das wäre ein zu großer Zufall. Für normal verguckte er sich nämlich immer in die Heterotypen. Warum sollte es diesmal anders sein? Und wenn David wider Erwarten doch auf Jungs stand, dann standen die Karten noch immer nicht sonderlich gut. Er kannte ihn doch überhaupt nicht! Dass sie tatsächlich zusammenpassten, war eigentlich ausgeschlossen. Merlin wälzte sich auf die andere Seite. Der Grundgedanke war schon absurd. David war nicht schwul, egal was Linda ihm da einzureden versuchte. Manchmal war Linda einfach ein bisschen neben der Spur. Überhaupt fand er es absolut kindisch, dass sie heute nicht mit ihm nach der Schule hatte telefonieren wollen, nur weil er sie gebremst hatte. Er fand es nun mal unangenehm, dass sie immer wieder auf sein Outing hindrängte. Dazu die Anspielungen, die wohl David ebenfalls die Gelegenheit geben sollten, sich zu offenbaren. Merlin fand das Verhalten einfach ätzend. Wieso konnte sie nicht einfach mal den Dingen ihren Lauf lassen? Früher oder
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