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Das Meer in seinen Augen (German Edition)

Das Meer in seinen Augen (German Edition)

Titel: Das Meer in seinen Augen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L.B. Roth
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nicht? Da kamen dann die ganzen anderen Gedanken ins Spiel. Wenn Merlin selbst schwul war, hieß das noch lange nicht, dass er auch den Mund halten würde, wenn sich David ihm offenbarte. Er würde es mit Sicherheit Linda erzählen, soweit glaubte er die beiden schon zu kennen. Und Linda schien alles andere als verschwiegen zu sein. Nun, immerhin hatte sie gestern nicht ausdrücklich etwas über Merlin ausgeplaudert und sie hatte ihn auch nicht direkt gefragt, aber die Anspielungen waren schon mehr als aufdringlich gewesen. Wollte David wirklich mit Merlin in einem Boot sitzen? Sicher wäre es viel einfacher, jemanden zu haben, der ebenfalls mit seinem Schwulsein klarkommen musste. Aber wer versprach ihm, dass sie sich auch verstehen würden? Und was bedeutete es, wenn er mit Merlin in einem Boot saß, Linda aber das Steuer in der Hand hielt? Dazu kam dann das widerstreitende Gefühl, wenn er an den Mann dachte, mit dem er Merlin gestern beobachtet hatte. David kannte nun Merlins sicher größtes Geheimnis. Zumindest konnte er sich nicht vorstellen, dass diese Beziehung zu einem älteren Mann kein Geheimnis war. Er glaubte nicht, dass Linda etwas davon wusste. Und er, ohne ihn wirklich zu kennen, wusste jetzt davon. Wie sollte er sich verhalten? Er würde immer an diese Bilder denken, wenn er Merlin ansah. Aber das war nicht alles. In seinem Innersten, ganz verborgen, spürte er neben der Bewunderung, dass Merlin seine Neigung so ausleben konnte, auch den Neid. Das Ganze machte einen verruchten, abstoßenden Eindruck auf ihn, der ihn aber gleichzeitig reizte und lockte. Natürlich hatte er sich gestern nicht nur in den Fremden hineinversetzt und durch ihn Merlins glatte Haut unter seinen Fingern gespürt, sondern hatte sich auch an die Stelle von Merlin gesetzt, der sich so hemmungslos der Liebe dieses Älteren hingeben konnte. Eine Fülle von Fantasien ließen sich aus dem Beobachteten ableiten. David dachte daran, dass der Mercedes vor seinem Haus halten könnte, wenn seine Eltern mal nicht da waren. Aber der Gedanke war absurd. Allein die Tatsache, dass er niemals sicher sein konnte, dass seine Mutter nicht jeden Moment wieder nach Hause kam, würde ihm jegliche Aktivität in diese Richtung versagen. Auch dafür bewunderte er Merlin. Entweder ließ sich seine Mutter ziemlich gut berechnen, oder aber der Junge hatte einen ungeheuren Mut. Vielleicht wusste seine Mutter ja sogar Bescheid?
    David tauchte aus seinen Hirngespinsten auf und drehte sich um. Irgendwie fühlte er sich beobachtet. Aber er konnte weit und breit niemanden sehen. Hinter ihm befanden sich lediglich ein paar Büsche und Bäume und weiter hinten ein Stück von Merlins Haus. Aus einer unbestimmten Intuition heraus nahm er den Backsteinausschnitt in Betracht. Da stand jemand am Fenster. Zumindest glaubte er es. Die Gardinen hatten sich bewegt. Ein flaues Gefühl setzte in seiner Magengegend ein. Konnte es sein, dass nicht nur er Merlin ausspionierte, sondern auch Merlin ihn? Doch im nächsten Moment wurde die Gardine schwungvoll beiseite gerissen. Die rothaarige Frau öffnete das Fenster. David glaubte zwar, dass sie kurz zu ihm hinüber sah, verwarf aber seine Befürchtung, als sie Bettwäsche zum Lüften über das Fenstersims legte. Beruhigt lehnte er sich wieder gegen die Bank. Wäre es wirklich so schlimm, wenn Merlin auch ihn beobachtete? Im Grunde wäre es nur gerecht. Dabei hätte Merlin immer noch bedeutend schlechtere Aussichten. David hatte keinen älteren Liebhaber. Er überlegte einen Augenblick. Auch sonst hatte er keine Macken, die keiner sehen durfte. Und sein eigenes Bett stand auch nicht mitten im Zimmer so wie das von Merlin. Ihn würde man nicht bei irgendwelchen Aktivitäten zu sehen bekommen. Trotzdem wäre es ihm nicht egal, wenn man ihn ständig beobachtete. Um so vorsichtiger musste er mit seinem Wissen um Merlin sein. Vielleicht wäre es nicht zuletzt deswegen ratsam, erst gar keine nähere Freundschaft aufkommen zu lassen. David sah auf die Uhr. Fünf vor. Am Besten, er machte sich jetzt schnell auf den Weg, dann würde er Merlin erst in der Klasse sehen und ...
    »Morgen«, sagte Merlin neben ihm. »Sitzt du jetzt jeden Tag vor der Schule hier?«
    David sah erschrocken auf. »Also - äh - nein, keine Ahnung.«
    »Hast du mal Feuer?«, fragte Merlin und grinste ihn frech an.
    »Ich denke ...« David brach ab. »Du Arsch«, sagte er und lachte. »Gestern war's dir noch peinlich!«
    »Stimmt.« Merlin legte eine

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