Das Meer in seinen Augen (German Edition)
seine Mutter von unten.
Ohne eine Antwort zu geben, drehte er sich auf die Seite. Völlig ruhig lag er da und starrte die Wand an, während in ihm das Gewitter weiter anschwoll. Das Beobachtete hatte ihm heute keine Lust gemacht. Am Montag hatte er auf den optischen Reiz sofort reagiert, auch wenn er sich durch seine zahllosen Gedanken den Spaß genommen hatte. Aber er hatte sich vorgestellt, wie es wohl wäre, wenn er an Merlins Stelle stünde. Heute war das anderes. Niemals würde er mit Paolo schlafen, auf keinen Fall. Also musste er sich fragen, was mit Merlin nicht stimmte, dass er es tat. Er konnte die Vorstellung nicht hinnehmen, dass er sich in ihm getäuscht hatte, dass Merlin doch nicht der süße Nachbarsjunge war, der sein fester Freund werden würde. Schon am Montag hatte David einen Stich verspürt, als er sich der Tatsache bewusst wurde, dass Merlin mit einem anderen schlief. Heute tat es doppelt weh, weil er den anderen nun kannte, weil er dessen Augen gesehen hatte, die nichts Liebevolles hatten, die ausschließlich voller Selbstsucht brannten. Er war eifersüchtig. Diese Feststellung durchfuhr ihn wie ein Blitz. Er war eifersüchtig auf einen Mann, der sich einfach das nehmen konnte, was er so sehr begehrte und es danach liegen ließ. David würde Merlin niemals einfach so zurücklassen, wenn er mit ihm ... Also, er würde sich noch dazulegen, mit Merlin reden, vielleicht ein wenig rumalbern und dann einschlafen. Was für eine Idee!
»David?«, fragte seine Mutter noch mal. Jetzt stand sie vor seiner Tür. Aber er antwortete immer noch nicht. Er wurde den Gedanken an Selma nicht los, die so völlig anders war als seine eigene Mutter. Sie schien für alles Verständnis zu haben. Irgendwie war sie vielmehr eine gute Freundin als eine Mutter. Sie hatte sich Mühe gegeben, den heutigen Abend gemütlich zu gestalten und seinen Eltern engegenzuwirken. Plötzlich fiel ihm wieder ein, wie sie auf die Terrasse hinausgetreten war und ihm zugezwinkert hatte. Sie hatte gewusst, dass seine Mutter Dinge von sich gab, die ihm unangenehm waren, und ihn gerettet. Er musste grinsen, als er an dieses schelmische Gesicht dachte. Dieses kurze Zuzwinkern hatte schon so viel Sympathie ausgestrahlt. Unglaublich, dass hinter dem Rücken dieser Frau ein solches Drama geschah, während sie noch völlig ahnungslos auftischte und sich Mühe gab, es allen rechtzumachen.
»David?« Seine Mutter öffnete vorsichtig die Tür. »Ist alles in Ordnung?«
»Warum?«, fragte David knapp.
»Weil du nicht antwortest.«
»Muss man denn immer durchs ganze Haus brüllen, nur damit alle wissen, dass alles in Ordnung ist?«
»Nein, aber ich hätte schon ganz gern eine Antwort, wenn ich dich mal rufe.«
»Mam, du rufst mich immer. Es ist schon ein Wunder, dass du überhaupt mal Luft zwischendurch holst.« David kniff die Augen zusammen und wünschte sich, er hätte den Mund gehalten.
»Sag mal, wie redest du eigentlich mit mir?«, fragte Hanne aufgebracht und kam zu ihm ans Bett. »Sieh mich mal an, wenn ich mit dir rede!«
»Lass mich bitte, okay?«
»Was ist denn los?« Ihre Stimme bekam einen schrillen Unterton. Dann rief sie laut: »Ansgar?«
»Verdammt!« David warf sich herum und sprang auf. »Lass mich allein!«, schrie er. Wippend stand er vor seiner Mutter auf dem Bett. »Bitte«, fügte er an, als ihr fassungsloses Gesicht zu ihm durchdrang. Dann ließ er sich einfach zurück ins Bett fallen.
Kurz darauf schloss sich die Tür und er war wieder allein mit sich und seinen Gedanken.
Donnerstag
Machtlos
Stoße ihn weg
Verbanne ihn
Immerzu
Fort
Doch er bleibt
Kommt wieder
Greift zu
Dort
Lasse geschehen
Was du gesehen
Trotzdem
Bleibt es
Mord
Weil ich
Wehrlos bin
Hier bei ihm
An diesem Ort
M. Nagy
30
Der Wecker hatte noch nicht geklingelt, aber Merlin wachte trotzdem auf. Draußen war es bereits hell und die Vögel zwitscherten nervig. Gequält drehte er sich noch mal zur Seite. Fünf vor sieben zeigten die Zeiger an. Er betrachtete von seinem Bett aus den blauen Himmel. Natürlich würde es auch heute wieder richtig sommerlich werden. Ein Tag, um etwas zu unternehmen, um sich zu vergnügen. Sommer. Aber für ihn gab es momentan keinen Sommer. Gern würde er schon aufstehen und sich zu David auf die Bank setzen. Doch nach gestern war ihm absolut nicht danach. Wenn David seine Ruhe haben wollte, sollte er sie auch bekommen. Belustigt merkte Merlin, dass er zickig war. So wie gestern abend. Ihm wurde
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