Das Meer wird dein Leichentuch
Eisbergwarnung muss immer ernst genommen werden.“ wich der Kapitän aus.
„Wie viel Zeit kostet uns eine Korrektur des Kurses?“
„Möglicherweise werden wir New York erst einen halben Tag später erreichen.“
„Sie wissen, dass das für die White-Star-Linie eine Blamage ist, wenn wir unsere vorberechnete Ankunftszeit nicht einhalten“, knurrte Ismay. „Die Titanic ist von der Größe her zwar nicht geeignet, das Blaue Band für die schnellste Atlantiküberquerung zu erringen. Aber wenn das Schiff nicht pünktlich in New York einläuft, werden die Passagiere künftig mit der Cunard-Linie oder sonst einer Konkurrenz fahren. Sie wissen, was das heißt, Kapitän?“
Smith nickte, ohne ein Wort zu sagen. Ich hatte schon aus Gesprächen mit Mr. Astor erfahren, dass die White-Star-Linie nur dann einem Konkurs entging, wenn die Titanic über Jahre voll ausgebucht war. Die Baukosten für dieses Schiff waren einfach zu hoch gewesen.
„Also welchen Kurs fahren wir, Kapitän?“ Ismay fragte wie ein strenger Schulmeister.
„Wir behalten unseren Kurs bei.“ Ich spürte, dass diese Worte dem alten Kapitän sehr schwer fielen.
„Und die Geschwindigkeit bleibt bei volle Kraft Voraus?“ lauerte Ismay.
„Wir haben offenes Wetter und klare Sicht. Am Tage sehe ich keinen Grund, die Fahrt zu verringern.“ erklärte Kapitän Smith. „Bei Nacht werde ich den Ausguck doppelt besetzen lassen. Die Matrosen im Krähennest werden uns einen Eisberg rechtzeitig melden.“
Was anders habe ich nicht von Ihnen erwartet, Commodore!“ nickte Ismay zufrieden und wandte sich um. Smith war der erste Kapitän der White-Star-Linie und trug deshalb den Titel Commodore. Drei seiner Offiziere hatten bereits das Kapitänspatent und warteten darauf, dass ihnen Bruce Ismay eins der White-Star-Schiffe anvertraute. Alle beneideten William Murdoch, den Ersten Offizier, der bald Herr auf der Brücke der Titanic sein würde.
„Wie sie eben gehört haben, droht uns wirklich keine Gefahr, Mrs. Astor!“, sagte ich beruhigend. „Und morgen Nachmittag sind wir in New York.“
„Und der Fluch des Blauen Diamanten?“ brach es aus Madeleine heraus. „Ich habe das, was mir Ben Guggenheim eben nach dem Gottesdienst erzählte, für eins seiner Märchen gehalten, mit denen er sonst kleine Mädchen erschreckt. Aber wenn das mit den Eisbergen stimmt, dann kann sich die Prophezeiung dieses seltsamen Marquis doch noch erfüllen.“
Ich schwieg. Was hätte ich Madeleine sagen sollen?
Die Wahrheit? In ihrem Zustand hätte sie es nicht ertragen.
„Sie waren doch bei den Gesprächen im Rauchsalon dabei, Danielle. Und man hat mir berichtet, dass Sie diesen seltsamen Marquis, nun sagen wir, etwas besser kennen. Wollen Sie nicht reden?“
Konnte ich anders? In kurzen Worten erzählte ich Madeleine alles, was ich wusste.
Nur wer sich hinter dem Gesicht des Marquis de Armand wirklich verbarg, verschwieg ich ihr.
„Da ihn Johnny gekauft hat, gehört der Blaue Diamant also auch mir“, sagte Madeleine entschlossen. „Ich, die Ehefrau John Jacob Astors, bin also auch seine Besitzerin. Kommen sie, Danielle. Wir müssen die Zeit nutzen, solange mein Mann seinen Geschäften nachjagt. Wir öffnen den Tresor. Und dann werfe ich den Unglücksstein ins Meer. Mein Mann wird zwar sehr zornig werden - aber ich werde ihn schon beruhigen. Fünfhunderttausend Dollar sind für ihn wirklich kein Geld.“
Ich konnte kaum mit Madeleine Schritt halten, so schnell eilte sie in die Suite. Mit zitternden Fingern drehte sie die Kombination des kleinen Privat-Safes. Leise quietschend öffnete sich die Tür. Verschiedene Papiere quollen Madeleine entgegen. Sie schob sie achtlos beiseite. Zwischen den Schatullen mit ihrem kostbaren Schmuck fand Astors Frau, was sie suchte.
„Hier ... hier ist er!“, rief sie. Triumphierend hielt Madeleine ein mit kunstvollen Schnitzereien verziertes Kästchen aus Rosenholz empor. „Und nun werde ich gehen und das Schiff von der grauenhaften Gefahr befreien, die über ihm lastet. Begleiten Sie mich, Danielle?“
„Darf ... darf ich den Blauen Diamanten einmal sehen?“, bat ich. „Jetzt habe ich soviel davon gehört und weiß nicht einmal, wie er aussieht.“
„Aber sicher. So viel Zeit muss sein.“ Madeleine lächelte verständnisvoll. Und dann öffnete sie das Kästchen.
Weitere Kostenlose Bücher